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Das Naturtheater geht auf Reisen:

Das Naturtheater geht auf Reisen: "In 80 Tagen um die Welt"
Foto: Marinko Belanov

24.06.2013 - Reutlinger Nachrichten

Haarsträubende Abenteuer, spektakuläre Transportmittel und ein Hauch Romantik: Zum 150. Geburtstag setzt das Naturtheater eine 140 Jahre alte Geschichte in Szene. Das Premierenpublikum hat sie geliebt.


Weltreise durch den Wasenwald

LARA DIEL


40 000 Kilometer in 80 Tagen? Bei der Generation Last-Minute-Urlaub rufen solche Zahlen bestenfalls ein spöttisches Grinsen hervor. Und gerade deshalb passt "In 80 Tagen um die Welt", das Erwachsenenstück der soeben eröffneten Freilufttheater-Saison im Wasenwald, so schön zum Jubiläum des Naturtheaters (NTR).

 

Vor 150 Jahren konnte schließlich noch keiner ahnen, dass der Amerikaner George Francis Train sieben Jahre später tatsächlich so eine Reise antreten würde, was wiederum Jules Verne veranlasste, im Jahr 1873 seinen Roman "In 80 Tagen um die Welt" zu veröffentlichen. Den hat Katharina Scholl, Dramaturgin am Stuttgarter Theater der Altstadt, in ein Bühnenstück gegossen, das NTR-Regisseurin Susanne Heydenreich naturtheatertauglich umgesetzt hat.

 

Erfolgreich, wie das Publikum nach der Premiere am Freitag fast einhellig findet. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch stellte im traditionellen Premieren-Grußwort den Bezug zur heute vielfach nur noch virtuell bereisten Welt her: Denn im Gegensatz dazu sind es im Naturtheater "echte Menschen auf einer echten Bühne in einem echten Wald mit echtem Wetter" - sie schaffen es, ihre Zuschauer mitzunehmen auf eine Reise, die sie auch ohne Höchst-geschwindigkeiten oftmals atemlos zurücklässt.

 

Klar, dass es ohne Reiseleiterin nicht geht: Julia Coolens gibt gekonnt die gutgelaunte Neckermann-Tante, die den Reiseverlauf von Suez bis Liverpool erläutert, die horrenden Summen, die zum Zwecke des Weiterkommens den Besitzer wechseln, auf heutige Verhältnisse ummünzt und ganz nebenbei ihre Mitspieler in Schach hält, wenn diese unvermittelt aus der Handlung aussteigen und in breitestem Schwäbisch etwa Reiseprobleme der Neuzeit erörtern, die sich am unvollendeten Berliner Flughafen oder an Stuttgart 21 orientieren. Holger Schlosser gibt souverän den unbeirrt vor sich hinreisenden Phileas Fogg, der mit den Honoratioren aus seinem Club wettet, dass er die Welt in 80 Tagen einmal umrunden kann. Ohne erkennbare Beunruhigung nimmt er hin, dass auf dem Trip quer durch Indien, China, Japan und Amerika Eisenbahnschienen schon mal mitten in der Pampa enden (weswegen auf einem Elefanten weitergereist werden muss), dass Raddampfer für den Gegenwert eines Einfamilienhauses in Bestlage angekauft werden müssen und dass notfalls auch deren gesamte Ausstattung verheizt werden muss, um ans Ziel zu gelangen.

Über allem dräut die Reiseleiterin: Die Wette nimmt ihren Lauf / Foto: ladi

Über allem dräut die Reiseleiterin: Die Wette nimmt ihren Lauf / Foto: ladi

Hauptsache, sein - erst kurz vor dem Aufbruch engagierter - Diener Passepartout geht unterwegs nicht verloren: Liebenswert-chaotisch stolpert Sascha Diener einmal um die ganze Welt, als hätte er nie etwas anderes getan. So schändet er versehentlich ein buddhistisches Heiligtum, versackt in einer Opiumhöhle und verpasst das Schiff, muss beim Zirkus anheuern, um weiterzukommen, kurz, tut alles, um den ambitionierten Zeitplan seines Chefs in Gefahr zu bringen. Dafür kann er aber gar nichts: Ulrich Heck spielt glaubhaft den übereifrigen Inspektor Fix, der von der Vorstellung besessen ist, bei Phileas Fogg handle es sich in Wahrheit um den Bankräuber, der am Abend der Abreise eine größere Summe erbeutete. Seinen Intrigen ist es zu verdanken, dass der arme Passepartout von einer Falle in die nächste taumelt.

 

Vervollständigt wird die kleine Reisegruppe durch Aouda, sympathisch und überzeugend verkörpert von Claudia Sieger. Sie muss im indischen Dschungel vor einer brahmanischen Witwenverbrennung gerettet werden, findet Kilometer für Kilometer ins Leben zurück und schließlich auch ins Herz von Phileas Fogg - dem es dann doch plötzlich doch nicht mehr ganz so wichtig ist, ob er die Wette gewonnen hat. Bloß gut, dass Passepartout umgehend wegen der bevorstehenden Heirat zum Priester geschickt und so auf das tatsächliche Datum aufmerksam wird. . .

 

Die Handlung lebt von den durchweg überzeugenden Darstellern, die sich bei den Proben im ungewohnt winterlichen Frühjahr wohl manchmal mit ihren gebeutelten Charakteren identifizieren konnten und so am sommerlichen Premierenabend umso professioneller und unbekümmerter agieren. Und nicht zu vergessen: Turbulent und pfiffig wurde das alles von Susanne Heydenreich, der künstlerischen NTR-Leiterin, inszeniert. Es sind auch die vielen charmanten Nebenrollen und liebevollen Details - etwa das rhythmische Zittern der Eisenbahngäste - und viele entzückende Anachronismen, die das rund dreistündige Stück zum spritzig-kurzweiligen Vergnügen machen. Obendrein hat Jolanta Slowik mit dem Bühnenbild ganze Arbeit geleistet. Nicht nur Geografie-Freaks dürfte die große gemalte Weltkugel begeistern, die Aufschluss über die genaue Reiseroute gibt.




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