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20.07.2020 - Reutlinger General-Anzeiger

Barfuß unterm Blätterdach

Konzert – Das Ensemble QuintOpera lässt auf der Terrasse der Naturtheater-Geschäftsstelle Verdi und Puccini aufleben


VON ARMIN KNAUER


So schön kann Klassik in Coronazeiten sein. Man sitzt in losen Grüppchen auf der Terrasse, beschirmt vom Laub uralter Eichen; unterm Pavillon zaubern fünf Blasmusiker ein herrlich farbenreiches Menü von Klängen; und mitten unter der milden Nachmittagssonne schürt die Sopranistin mit zartem Stimmschmelz Liebesglut.

Tanz um die Laterne: Sopranistin Gabriele Nill-Kühn als

Tanz um die Laterne: Sopranistin Gabriele Nill-Kühn als "Carmen" mit dem Ensemble QuintOpera im Wasenwald. FOTO: KNAUER

QuintOpera nennt sich das Ensemble, das am Samstagnachmittag auf der Terrasse vor der Naturtheater-Geschäftsstelle aufspielte – vor rund 80 Besuchern im Gelände und weiteren 20 draußen vor dem Zaun. Sehr zur Freude der Naturtheater-Mannschaft um Rainer Kurze, weil so doch noch etwas kulturelles Leben in den Musentempel unter Bäumen im Wasenwald kam. Schließlich ist die eigentliche Saison wegen Corona komplett abgesagt samt des regulär geplanten Gastspielprogramms.


QuintOpera besteht aus Bläsern der Württembergischen Philharmonie, ergänzt durch Sopranistin Gabriele Nill-Kühn. Es hat sich der Art von Opern-Verbreitung verschrieben, wie man sie betrieb, als es weder Youtube noch Spotify gab: Musikdrama im Taschenformat sozusagen. Am Samstag kommt der ganze Reiz dieses Genres zum Tragen: die Verbindung von Opernpathos und Natur und farbigem Bläserklang, das alles umweht von einer sanften Nachmittagsbrise.


Ein Haydn-Divertimento ersetzt die Ouvertüre: neckende Ländler-Anklänge, verspieltes Dialog-Hin-und-Her, ein Trio, in dem die Tieftöner die Sache an sich reißen, schelmische Akzente im rasanten Finale, dazwischen ein feierlich sich wölbender Choral. Ein wahres Mini-Orchester ist hier voller Spiellaune am Werk: mit Martin Kühn an der Flöte, Dennis Jäckel an der Oboe, Jennifer Gollnau am Horn, Irene de Marco am Fagott und Julia Hutfless an der Klarinette.


Auftritt der Sopranistin mit "E amore un ladroncello" aus Mozarts "Cosí fan tutte". Die Liebe, sie ist ein Dieb, stellt Gabriele Nill-Kühn fest, während ihr Sopran hell und quirlig durch die Höhenlagen turnt – na klar, weil sie Herzen stiehlt. Das ist fein gezeichnet – und wegen der fehlenden Raumakustik mit Tontechnik dezent verstärkt. Zurück zum reinen Bläserklang: Das Quintett des Italieners Giulio Briccialdi (1818–1881) ist sozusagen Oper ohne Worte. Mit melodiöser Inbrunst ausgreifende Belcantolinien, ein wiegendes Gondellied in der Oboe, später der Flöte, ein mit geschwellter Brust galoppierendes, sehr rossinimäßiges Finale über pulsierenden Fagott- und Hornrepetitionen. Das macht Laune!


Seelenleid und Schicksalsmacht

Wieder die Sopranistin mit der Arie "O mio babbino caro" der Lauretta aus Puccinis "Gianni Schicchi". Erneut die Liebe, die sich für Lauretta nicht zu erfüllen scheint, weshalb sie ihrem Vater in herzergreifendem Melodienfluss mit dem Sprung in den Arno droht. In diesem Genre scheint sich Nill-Kühn noch wohler zu fühlen, in den weicheren, samtigeren Schattierungen Puccinis über dem sanft glitzernden Bläserzauber.


Dann kommt sie doch noch, die Ouvertüre: die aus Verdis Oper "Die Macht des Schicksals". Was ja derzeit gut passe, wie Martin Kühn als charmanter Moderator schmunzelt. Es ist jedenfalls, wenn auch im Kammerformat, alles da von Verdis Dramatik: lastende Schicksalsakkorde, bedrohliche Horn- und Fagottsignale, zarte Sehnsucht im Flötenklang und Hoffnung auf ein Happy End im munteren Ausgreifen von Klarinette und Oboe.


Fehlt noch die Oper aller Opern: "Carmen", mit Nill-Kühn als heißblütiger Spanierin. Barfuß und mit aufreizenden Gesten durchmisst sie das Terrassenrund, singt von der großen Freiheit und umgarnt bar jeden Corona-Abstands den Flötisten – was sie darf, weil sie mit ihm verheiratet ist. Auch hier ist sie im Element, beim Ausloten der dunkel-erotischen Nuancen, dem sparsamen, aber gezielten Spiel mit der Szene – wobei sie die Laterne im Zentrum und einen Stuhl geschickt mit einbezieht. Dazwischen weben die Bläser eine flirrende Atmosphäre von nächtlichem Schmugglertreiben und wilder Natur, über die sich Horn-drohend das Schicksal senkt – wie das doch perfekt in die Waldkulisse passt!


Als Zugabe unternimmt die Sängerin mit dem Ensemble einen verschmitzten Ausflug in die 20er-Jahre. In Zarah Leanders Schlager "Er heißt Waldemar" entfaltet die Sängerin großes Talent zur Komik – und ihr Mann muss einmal mehr als Opfer herhalten. Man sollte diese Art von Terrassenkonzerten unbedingt weiter pflegen – als sommerlich leichte Klassik-Alternative. Das Nächste kommt gleich am nächsten Sonntag, 26. Juli, um 17 Uhr mit einem Blechbläserquartett der Württembergischen Philharmonie. (GEA)




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