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22.06.2015 - Reutlinger Nachrichten

Naturtheater mit "Don Camillo und Peppone"


Prügel, Predigten und Politpropaganda

"Wer am Kreuz hängt, macht keine Witze", verkündet "Jesus". Nichtsdestotrotz hat das Premieren-Publikum eine ganze Menge zu lachen: Ein vergnüglicher Abend mit "Don Camillo und Peppone" im Wasenwald.


LARA DIEL


Die Vorverkaufszahlen sprechen dafür, dass die Frauen und Mannen des Naturtheaters Reutlingen (NTR) bei der Programmauswahl für die diesjährigen Wasenwald-Festspiele ein gutes Händchen bewiesen haben: "Insgesamt 18 000 verkaufte Karten bislang", berichtet NTR-Vorsitzender Rainer Kurze. Und Oberbürgermeisterin Barbara Bosch ergänzt bei der Festspiel-Eröffnung, alleine schon die Erwähnung der Komödie habe jedem ihrer Gesprächspartner ein Schmunzeln entlockt.

 

"Don Camillo und Peppone" kennt eben einfach jeder - und das, obwohl das explosive Gemisch aus konservativem katholischem Pfarrer und kommunistischem Neu-Bürgermeister erstmals in der Schwarz-Weiß-Ära der 50er Jahre über die Mattscheibe flimmerte.

 

Was das NTR-Ensemble, das in Spitzenzeiten mit 28 Mann, Frau und Hund Bella auf der Bühne vertreten ist, draus gemacht hat, ist ganz und gar nicht schwarz-weiß, sondern kunterbunt, kurzweilig und temporeich.

 

Dabei hat die Geschichte, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem italienischen Dorf spielt und sich um die Querelen zwischen den Titelhelden, einen Generalstreik und eine in politischer Hinsicht unmögliche Liebe rankt, natürlich auch nachdenkliche, gesellschaftskritische Untertöne, die sich durchaus mit dem aktuellen Zeitgeschehen verknüpfen lassen.

 

Weil Solidarität dabei eine Rolle spielt, wollen die Darsteller nach jeder Vorstellung Spenden sammeln - am Premierenabend war das Reutlinger "Asylcafé" dran. Die heiter-unbeschwerten Momente kommen trotzdem nicht zu kurz. Geradezu göttlich, wie Sascha Dieners "Don Camillo" sich in einem Moment noch mit dem hemdsärmelig-liebenswerten und überzeugendem "Rächer der Unterdrückten" Peppone (Andreas Pedretti) "prügelt", wie ein Derwisch um die Kirchenbänke fegt und dabei Dinge predigt, die so in der Bibel sicher nicht zu finden sind, während er Sekunden später mit fromm nach oben gerichtetem Blick "Lasset uns beten" oder "Gehet hin in Frieden" säuselt.

 

Rat und Tat erhält er von Jesus höchstpersönlich, den Holger Schlosser glaubwürdig verkörpert. Er rückt seinem temperamentvollen Diener immer wieder mit gut abgehangener Gelassenheit den Kopf gerade. Etwa, wenn der Priester ganz und gar unchristlich Peppones Politpropaganda manipuliert. Dafür drückt Jesus auch mal ein Auge zu, wenn Don Camillo Peppone bei der Beichte in den Hintern tritt, das Kreuz als Schlagstock zweckentfremdet oder seinen Speiseplan mit Diebesgut bereichert.

 

Turbulent geht's zu im ersten Akt, in dem nicht nur die Titelhelden beweisen, dass sich das professionelle "Prügel"-Training mit Schauspieler Stefan Müller-Doriat gelohnt hat: Gegen Ende des Akts ist das halbe Dorf nicht mehr gut zu Fuß. Charmantes i-Tüpfelchen: Wenn's Haue gibt, ertönen schon mal die Titelmelodien von "Rocky" und "Spiel mir das Lied vom Tod".

 

Der zweite Akt ist so richtig was fürs Herz: Die "Himmelsmacht" der Liebe, amüsant umgesetzt von Manuela Hansow als Großgrundbesitzerinnen-Tochter Gina und Timon Streicher als verarmter Bauernsohn und Kommunist Mariolino, rückt in den Vordergrund. Und auch Signora Cristina (Claudia Sieger), gute Seele und schlechtes Gewissen des Ortes, hat einen zu Tränen rührenden Auftritt.

 

Auch diesmal wartet das NTR mit einer bezaubernden Kulisse (Jolanta Slowik) auf: Tumultartige Szenen wie versöhnlichere Momente entfalten sich zwischen Weihwasserbecken und Wahlplakat, Kirchturm, Kneipe und Kommunalverwaltung.

Spiel mir das Lied vom Tod? Die schlagkräftigen Argumente des katholischen Priesters konnten die Zuschauer bei der Premiere von

Spiel mir das Lied vom Tod? Die schlagkräftigen Argumente des katholischen Priesters konnten die Zuschauer bei der Premiere von "Don Camillo und Peppone" trotz ungemütlich-feuchter Witterung im Wasenwald überzeugen / Foto: Lara Diel




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