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24.08.2015 - Reutlinger Nachrichten

Temporeiche Satire auf TV-Shows - Mitternachts-Special im Naturtheater


Alles Bio oder was?

Artischocka? Friss oder stirb! Das Mitternachts-Special "Ein Ufo wurde ferngesehen - Das Gemüsical" ist eine überdrehte Musikrevue um TV-Shows und B-Promis. 800 Fans amüsierten sich im Naturtheater prächtig.


JÜRGEN SPIESS


Wir blicken auf endlose Reihen aufgesetzter  Zahnpastalächler, sehen in glatte, erfolgsgeile Gesichter, die gezeichnet sind vom Willen, den Erdbewohnern eine schöne neue Welt der Superstar-, Dschungel- und Castingshows nahe zu bringen. Prus Darnell, Zindy aus Tarzan, Heidrun Klumm, Tim Schmelzer und Dieter Pohlen heißen diese Außerirdischen. Und ihnen sind Einschaltquoten, Image und Medienhype wichtiger als Bescheidenheit, Umweltbewusstsein und soziale Gemeinschaft.

 

Nach einem Jahr Pause hat sich das Naturtheater dieses Mal ein so genanntes "Gemüsical" frei nach Sascha Diener vorgenommen - eine vitaminreiche und überdrehte Musikrevue, die keiner Pointe aus dem Weg geht und in losen Dialogen und Liedern eine Zeit heraufbeschwört, als sich noch nicht alles um Smartphones, Apps und fragwürdige TV-Formate drehte.

 

Gemüsa Fleischwurst und Hackepeter Konchitta

Eine Zeit, als die Uhren noch anders tickten und sich alle noch auf normale Art und Weise unterhielten - "mit den Zähnen". Als Tomata Seitenbacher, Gemüsa Fleischwurst, Zuchinia Bioschleck, Gurka Geisens und Hackepeter Konchitta und ihre Familien noch in einer heilen Welt lebten und "den ganzen lieben langen Tag Gemüse pflanzten".

 

Schauplatz ist ein kleines Dorf irgendwo in Deutschland. Hier leben alle einträchtig und im Einklang mit der Natur, von Fernsehen, Tablets und Internet hat noch niemand etwas gehört. Dafür gibt man sich zur Begrüßung die Hand, und die Kinder spielen "Faul Ei".

 

Die Idylle um glückliche Hühner, gesundes Bio-Gemüse und stressfreie Menschen wird erst gestört, als ein Ufo in Form eines riesigen TV-Geräts auf dem Dorfplatz landet, dem seltsame Außerirdische in pinkfarbenen Strampelanzügen (Zindy aus Tarzan) und mit Vokuhila-Frisuren (Dieter Pohlen) entsteigen.

 

Weshalb auf der Bühne schon bald das blanke Chaos ausbricht. Denn ab nun regiert nicht mehr das Sein, sondern der Schein: Es geht allein darum, wie man sich in das denkbar günstigste Licht rückt und in TV-Shows am besten verkauft.

 

TV- und Entertainment-Formate wie "Dschungelcamp", "Germany's Next Topmodel", "Einsatz in vier Wänden" und "DSDS" werden in überzeichneter Form nachgespielt und durch den Kakao gezogen. Es wird geheult (Prus Darnell), gekreischt (weibliche DSDS-Fans) und beim "perfekten Spinner-Dinner" schon mal - der Einschaltquote wegen - ein Öko-Anhänger zu Hackepeter verwurstet. Makabre und zum Thema passende Scherze wie "Was ist braun und springt wild herum? Ein Jumpignon" wechseln sich in schneller Folge ab.

Musikrevue und Satire auf TV-Shows: Zindy aus Tarzan beim

Musikrevue und Satire auf TV-Shows: Zindy aus Tarzan beim "Gemüsical" im Naturtheater Reutlingen / Foto: Jürgen Spiess

Das Tempo bleibt durchgehend hoch, die Frequenz der zum Teil völlig abgedrehten Szenen steigt stetig. Auch die Ebenen von Realität und Fiktion wechseln einander immer schneller ab, bis die Fiktion schließlich zur Realität wird.

 

Sascha Dieners Mitternachts-Special ist ein amüsanter und bewusst überzeichneter Mix aus spritziger Musikrevue und Kritik an der heutigen Popstar- und Casting-Gesellschaft. Und damit das Ganze nicht zu klischeehaft und seicht daher kommt, werden wiederholt schräge Elemente eingebaut. Mal kommt das beim Gesang zum Ausdruck, der solo oder im Ensemble vorgetragen wird, oder auch beim Nachspielen von Dschungelcamp- und Gewinnspiel-Szenen.

 

Gurka Geisens und Katharina Stahlschrank

Gerade hier lässt Diener gerne seinem Hang zu schwarz-trashigem Humor freien Lauf. Titel wie "Dann haben wir umsonst gesät", "Lampenfieber" oder "Abschied ist ein wenig wie Sterben" werden in nachempfundener Musical-Manier gesungen und kommen witzig rüber. Die Herausforderung, neben den Haupt-Inszenierungen in nur 32 Proben Gesang, Theaterspiel sowie Tanzeinlagen einzustudieren und umzusetzen, meistern die 31 Darsteller mit Bravour. Die meisten Lacher ernten dabei Timon Streicher (Prus Darnell), Mara Jährig (Katharina Stahlschrank) und Vasiliki Kobili (Zindy aus Tarzan).

 

Obwohl mit mehr als 120 Minuten zu später Stunde etwas lang geraten, ist Sascha Diener mit "Ein Ufo wurde ferngesehen - Das Gemüsical" wieder ein Abend voll schwarzem Humor gelungen. Und vielleicht geht es ja niveaulosen TV-Shows irgendwann wie den Außerirdischen, die nach getaner Arbeit die Erde wieder verlassen: "Wir sind hier fertig, für uns ist nichts mehr zu holen."




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