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Schrill, schräg, originell:

Schrill, schräg, originell: "Im weißen Rössl" in der Fassung "Bar jeder Vernunft" steht in diesem Sommer auf dem Programm des Naturtheaters / Foto: Lara Diel

27.06.2011 - Reutlinger Nachrichten

Naturtheater-Premiere: Das Weiße Rössl galoppiert in die Zuschauerherzen

Wolfgangsee im Wasenwald

Im Weißen Rössl im Wasenwald, da steht das Glück vor der Tür: Ein bestens aufgelegtes Naturtheater-Ensemble hat das Premieren-Publikum auf eine charmante Kurzreise an den Wolfgangsee entführt.

 

Von Lara Diel

 

Vom flügellahmen Pegasus zum schneidigen Vollblut: So euphorisch beschrieb der von Oberbürgermeisterin Barbara Bosch zur Eröffnung der Wasenwald-Festspiele zitierte Spiegel-Kritiker seinerzeit das "Weiße Rössl" in der Berliner Fassung "Bar jeder Vernunft", für die sich auch das Naturtheater-Ensemble erwärmt hat.

 

Und um es gleich vorwegzunehmen - spätestens nach einem gut dreistündigen Kurztrip in die Reutlinger Version des Salzkammerguts steht fest, dass das Naturtheater-Ensemble diesen Vorschusslorbeeren gerecht wird. Ehrengäste und Sieger beim Run aufs übersichtliche Kontingent an frei verkauften Premierenkarten sehen ein Reutlinger "Rössl", das gleich von den ersten Minuten an auf der Erfolgsspur galoppiert.

 

Das liegt nicht zuletzt an der einladenden Gebirgslandschaft samt entchenbesetztem Wolfgangsee (Bühnenbild: Jolanta Slowik), die den Zuschauer zusammen mit den für Naturtheater-Verhältnisse milden Temperaturen in entspannte Urlaubslaune versetzt.

 

Das liegt vor allem aber an der Hingabe der Darsteller, die sich in den vergangenen Wochen nicht nur der Herausforderung stellen mussten, altbekannte Ohrwürmer aus den 30er Jahren zu entstauben und glaubhaft darzubieten, sondern auch irrwitzige Choreografien vom Walzer übern Regenschirm- und Ententanz bis zum Schuhplattler einzustudieren, das Ganze obendrein ausdauernd und allumfassend wahlweise in österreichischem oder Berliner Dialekt zu kommentieren, vielleicht auch noch den einen oder anderen gekonnten Jodler abzusondern und vor allem eine überzeugende schauspielerische Leistung abzuliefern: Hut ab!

 

Ein Entrecotscherl gefällig? Sascha Diener erobert die Herzen des Publikums in seiner im wahrsten Sinn des Wortes tragenden Rolle als "Weißer Rössl"-Kellner Leopold im Sturm. Anrührend unglücklich liebt er seine Chefin Josepha Vogelhuber, von Claudia Sieger als liebenswert-selbstbewusste, handfeste Powerfrau angelegt, die bei der Männerwahl leider nach Höherem strebt.

 

Während der verschmähte Leopold umtriebig-charmant und wahlweise mit Rose oder hintersinnigen Boshaftigkeiten im Mund durch den Gastronomie-Alltag wirbelt, in Ermangelung seiner Traumfrau ein inniges Tänzchen mit dem Besen aufs Parkett legt und herzzerreißend verzweifelt "Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden" intoniert, unwillkommene Gäste mobbt, kündigt und gekündigt wird, während er ganz en passant aktuelle Skandale vom Dioxin-Ei über abgekupferte Doktorarbeiten bis zur EHEC-Sprosse aufarbeitet, wirbt Wirtin Josepha lieber um die Gunst des Rechtsanwalts Dr. Siedler (Holger Schlosser gefällt als cooler Stratege mit großem Herz).

 

Der weilt natürlich nicht am Wolfgangsee, um zu relaxen. Vielmehr ist es die Hemdhose Apollo, die ihn ins Salzkammergut geführt hat. Deren Produzent Wilhelm Giesecke (Andreas Pedretti) erbruddelt sich die Gunst der Zuschauer auf gut Berlinerisch, während er die heimliche Hoffnung hegt, sein Hemdhosenproblem durch die Heirat seiner Tochter Ottilie zu lösen. Doch die, forsch gespielt von Julia Coolens, ist ganz der Papa, hat ihren eigenen Kopf - und für Sigismund Sülzheimer, den Sohn des Hemdhosen-Wettbewerbers, so gar nichts übrig.

 

Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist? Der, charmant in Szene gesetzt von Vito Marzio, bekommt davon gar nichts mit, denn wie es sich gehört, hat er schon bei der einen oder anderen Vertreterin der Damenwelt Anklang gefunden, noch ehe er überhaupt im "Weißen Rössl" angekommen ist. Und das freche Klärchen (Carolin Olbricht) ist auch gerne bereit, mit ihm einen hinreißenden Pas de deux im altertümlichen Badeanzügle zu tanzen.

 

Am Ende eines unterhaltsamen Abends stehen drei Verlobungen und kein Todesfall, ein Ensemble, das sich wacker gegen die streikende Tontechnik durchsetzt - und Regisseurin Susanne Heydenreich, die in ihrem "verflixten siebenten Jahr" am Naturtheater mit dem "Weißen Rössl" einen erfolgversprechenden Griff getan hat.




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