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27.06.2011 - Reutlinger General-Anzeiger

Premiere – Nicht nur im Salzkammergut, sondern auch beim Naturtheater im Wasenwald kammer gut lustig sein

 

Ein Weißes Rössl bar jeder Vernunft

Von Veit Müller

 

Was soll da schon schief gehen? "Im Weißen Rössl", dem Lustspiel-Klassiker schlechthin, mit seinen Evergreens, seinen Gassenhauern, wenn man so will. Man kann sie fast alle mitsingen, diese Lieder, die so viel österreichischen Charme versprühen. Und spätestens seit Peter Alexander genießt das "Weiße Rössl" am Wolfgangsee auch Kultstatus. Das Reutlinger Naturtheater setzt auf diesen Kult und liegt mit seiner relativ modernen "Bar jeder Vernunft"- Fassung goldrichtig.

 

Zuerst aber einmal beeindruckt die Kulisse. Mitten in den idyllischen Wasenwald hat Bühnenbildnerin Jolanta Slowik ein ebenso idyllisches Gasthaus mit reizvollem Seeblick gezaubert. Eine riesige Fototapete zeigt einen Wolfgangsee wie aus dem Reisekatalog, man fühlt, wie man selbst auf der Sonnenterrasse des Weißen Rössls sitzt und den Blick auf Bergwelt und Gewässer genießt.

 

Ein Leopold zum Liebhaben

Die musikalische Geschichte, die der österreichische Komponist Ralph Benatzky 1930 verfasst hat, steht und fällt natürlich mit der Figur des Zahlkellners Leopold. Der muss gut sein, muss Zug genauso wie eine Portion Schmäh haben, und er muss witzig sein. Peter Alexander war eine Idealbesetzung in der Verfilmung von 1960. Aber auch die Reutlinger haben einen guten Leopold. Sascha Diener verschafft der Figur lebhafte Konturen. Man muss ihn einfach mögen, diesen Leopold. Man fühlt richtig mit, wenn die Rössl-Wirtin seine Liebe verschmäht. Und man amüsiert sich köstlich, wenn er seine Situationskomik einsetzt, die einen Hauch Peter Alexander in sich trägt.

 

Man merkt, wie sehr die Handlung auf ihn zugeschnitten ist, wenn er einmal nicht auf der Bühne ist. Er fehlt. Vor allem zu Beginn des zweiten Teils zerfällt die Handlung zu sehr in Einzelgeschichten. Hier hätte Regisseurin Susanne Heydenreich den Text an manchen Stellen vielleicht ein klein wenig straffen können, damit die Inszenierung mehr Fahrt aufnimmt. Vor allem die Entenszene schielt mit ihrer gequakten Albernheit zu sehr auf die einfachen Lacher.

 

Aber darüber kann man getrost hinwegsehen. Alles andere ist unterhaltsames Naturtheater auf gutem Niveau. Leopold schmachtet eine sehr resolute Wirtin (Claudia Sieger) mit guter Stimme an. Wie überhaupt die weiblichen Darsteller ihren männlichen Kollegen beim Singen (ausgenommen vielleicht noch Leopold) etwas den Rang ablaufen. Das schwache Geschlecht hat wesentlich mehr Kraft in der Stimme. Zu dieser Frauenpower gehören auch die selbstbewusste Textil-Fabrikanten-Tochter Ottilie (Julia Coolens) und das brave, schüchterne, lispelnde Klärchen (Carolin Olbricht). Ansonsten sind auch die Männer sehr präsent. Hier sticht neben Leopold vor allem Andreas Pedretti als Fabrikant Wilhelm Giesecke heraus. Sein polternder Witz ist direkt und richtig lustig. Und der Berliner Akzent gelingt ihm ebenfalls sehr gut.

 

Apropos Dialekt. Für die Rössl-Inszenierung haben sich Leopold und Wirtin Josepha einen österreichischen Zungenschlag antrainiert(was allein schon wegen der Lieder sein muss) und das gelingt ihnen meist sehr gut. Und wunderbar österreichisch klingt Rolf Wenhardt in seiner Traumrolle als Kaiser Franz Josef. Der Präsident des baden-württembergischen Landesverbandes der Amateurtheater ist ein "Neuzugang" im Reutlinger Naturtheater. Er fügt sich sehr gut ins Ensemble ein. Und ihm gelingt die Rolle des gutmütigen und leicht vertrottelnden Monarchen ausgezeichnet. Dann gibt es noch die Schwerenöter-Abteilung. Holger Schlosser ist als Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler ein leichtfüßiger Charmeur, der sich zum Leidwesen der Rössl-Wirtin nicht um sie, sondern lieber um Ottilie kümmert. Zu ihr passt er aber auch besser, und das arme Bepperl wird ja vom Leopold getröstet. Und Vito Marzio sülzt als schöner Sigismund in gekonntem Lustspielstil Klärchen die Öhrchen voll.

 

Stubenmädchen und Touristen

Dazu kommen noch Carlos Vogt als armer Professor Hinzelmann, Tahsin Kuzdere als einfältiger Kellner Piccolo und Angela Sauter als Briefträgerin Kathi, die in der Inszenierung ein beachtliches Laufpensum absolviert. Aber dies sind noch lange nicht alle Darsteller. Stubenmädchen und Touristen bevölkern immer wieder die Bühne, sorgen für Stimmung und Abwechslung. Die Schar der Statisten, für die sicher ein großes Maß an Choreografie (Carmen Lamparter) nötig war, passt sich gut ins Gesamtbild der Inszenierung ein. Dieses stimmungsvolle Bild wird noch durch die passenden Kostüme (Lucia Tunas und Trude Heck) verstärkt.

 

Das Reutlinger Naturtheater hat sich für die Weiße Rössl-Inszenierung der Berliner "Bar jeder Vernunft"-Fassung bedient. Eine gute Entscheidung, denn hier wirkt das Weiße Rössl moderner, pfiffiger, entstaubter. Und Regisseurin Heydenreich garniert das Ganze zusätzlich noch mit aktuellen Zitaten, wenn Leopold zum Beispiel seinem Widersacher Dr. Siedler einen Gurken-Tomaten- Salat mit norddeutschen Sprossen an den Hals wünscht oder er von denen spricht, die grün wählen und schwarz denken oder den Ausstieg vom Ausstieg erwähnt. Das Publikum war von der Premiere begeistert. Ein lang anhaltender Applaus war die Belohnung für eine Truppe, der man ansah, dass sie mit viel Spaß im Weißen Rössl war.




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