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Im weißen Wasenwald-„Rössl“ ist was los. Das Naturtheater hat Benatzkys Operette abgeschmachtet / Bild: Haas

Im weißen Wasenwald-„Rössl“ ist was los. Das Naturtheater hat Benatzkys Operette abgeschmachtet / Bild: Haas

27.06.2011 - Schwäbisches Tagblatt, Tübingen

Das Naturtheater macht das "Weiße Rössl" peppig-frisch


Ein flotter alter Gaul

Witzig, bunt, auf leichtem Fuß: "Im Weißen Rössl" feierte am Samstag im Naturtheater im Wasenwald eine fulminante Premiere: Frenetischer Beifall vom ausverkauften Haus.

 

Von Fred Keicher

 

Einen Schmachtfetzen von Operette hat Ralph Benatzky 1930 geschrieben, ein Traum vom Glück in himmelblau mit einem tattrigen Kaiser auf der Bühne. Aber mit dem Kitsch ist es wie mit einem Beuschel, von dem die Piefke auch nicht wissen, was es ist: Man reißt das Innerste heraus, kocht es gehörig und würzt es scharf wie in der Hölle, auf dass man beim Genießen ordentlich schlucken muss.

 

Im "Weißen Rössl" am Wolfgangsee, da steht das Glück nur vor der Tür. Rote Rosen und Geranien schmücken üppig das Haus, aber der Haussegen hängt schief. Der Zahlkellner Leopold (Sascha Diener) liebt die Wirtin Josepha (Claudia Sieger). Doch die liebt nicht ihn, sondern einen Anwalt aus Berlin. Ganz im Küchenmilieu spielt das Techtelmechtel der beiden. Herzchen werden auf die Menütafel gemalt, anspielungsreich seufzend Menus auf die Karte geschrieben (Herz am Spieß, schluchz).

 

Eigentlich wäre das Gasthaus mit sich selber vollauf beschäftigt. Der Zahlkellner schikaniert den Piccolo (Tahsin Kuzdere), die Wirtin die Stubenmädchen. Aber dann fallen die Touristenscharen ein und wollen bedient werden ("Bitte sehr, bitte schnell"). Zwei gesetzte Berliner, der eine mürrisch, der andere verträumt, treffen ein. Sie sind in Begleitung ihrer Töchter. Die wollen verheiratet werden: Könnte klappen, zwei Junggesellen sind im Angebot. Und dann kommt auch noch der Kaiser. Ein fast stummer Gast irrlichtert über die Bühne, der Souffleur.
(Anmerkung des Naturtheaters: Es handelt sich nicht um den Souffleur, sondern um die Person Ralph Benatzky. Wir setzen keine Souffleure ein.)

 

Leicht könnten sich die 26 Akteure auf der Riesenbühne verlaufen, die Jolanta Slowik so gebaut hat, dass die alpenglühenden Berge in die Bäume wachsen. Aber die Regisseurin Susanne Heydenreich (Theater der Altstadt, Stuttgart) drückt aufs Tempo, die Pointen fallen Schlag auf Schlag. Dabei entsteht alles andere als eine Nummernrevue altbekannter Schnulzen und Gassenhauer (die musikalische Leitung hat Alexander Reuter, Carmen Lamparter choreografierte die Tanzeinlagen). "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?" ist so ein Schlager. Vito Marzio spielt den Sigismund Sülzheimer aus Sangershausen (er macht in Trikotagen: Hemdhose, durchbrochen, vorne geknöpft) erfrischend leicht und tänzerisch. Ausgerechnet er, mit den vielen S im Namen, gerät an die lispelnde Klärchen (Carolin Olbricht). Ihr Duett in historischer Badekleidung ist einfach umwerfend.

 

Dass Klärchens Vater Professor Hinzelmann ein Ausbund depperter Innerlichkeit ist, bringt Carlos Vogt ganz sanft rüber. Das polternde Piefketum des Trikotagenfabrikanten Wilhelm Giesecke spielt Andreas Pedretti äußerst überzeugend. Seine Tochter Ottilie (Julia Coolens) macht eine rasche Entwicklung vom Dummchen zur selbstbewussten Frau durch, die sich den Anwalt Dr. Siedler (Holger Schlosser) schnappt – ein Windhund, aber charmant. Unterdessen geht die Kathi von der Post (Angela Sauter) schön jodelnd-juchzend ihrer Arbeit nach.

 

Dass das dritte Paar sich findet, dafür muss Kaiser Franz Joseph höchstderoselbst tätig werden (Rolf Wenhardt, der Präsident des Landesverbandes der Amateurtheater Baden-Württemberg, erfüllt sich und seinem Zwirbelbart mit der Rolle einen Traum). Als hätt' er einen Sprung in der Platte, sagt er stereotyp: "Danke sehr, es hat mir gut gefallen."

 

Sehr gut gefallen hat die peppige Inszenierung im Wasenwald auch dem Publikum. Nach der Pause versagte am Premierenabend aber leider das Tonsystem. Es wurde unterbrochen, Susanne Heydenreich kam auf die Bühne und versprach, dass man nach der Pannenbehebung wieder zurückgehe, "aber nicht ganz zum Anfang". Das Publikum hätte das liebend gerne angenommen. Gegen halb zwölf bedankte es sich mit frenetischem Beifall.


Unterm Strich

Eine frische Inszenierung, in der man sich sogar mit alten Gassenhauern und Schnulzen anfreunden kann. Deshalb: Hingehen!




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