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01.08.2011 - Schwäbisches Tagblatt, Tübingen

Sprache als Schlüssel zum Verständnis einer Kultur

"Es ist traurig, dass im SWR so wenig Schwäbisch gschwätzt wird", stimmten die hochkarätigen Schwaben-Kenner gestern Morgen beim schwäbischen Stammtisch im Reutlinger Naturtheater überein.

 

"Ach liebe Barbara, helf mir de Apparat ra tra, komm Barbara pack a." Bernhard Bitterwolf, oberschwäbischer Musiker, Autor und Humorist, hat die Gesprächsrunde am Stammtisch auf der Bühne des Naturtheaters musikalisch umrahmt. Und zwar neben der urschwäbischen Quetschkommode, mit der er sich zu dem eingangs zitierten Lied begleitete, auch mit einem Hirtenhorn, der so genannten Piffel. Und damit waren die fünf "Stammtischbrüder" auch schon mittendrin, denn: Von den Worten hatten es die Schwäbisch-Experten, von den Dialekten, die sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte "verschliffen" haben, wie Werner Wunderlich, Reutlinger Original und Stadtführer, sagte.

 

Diese "Verschleifung" sei überall erkennbar, betonte Literaturkritiker Karl Corino, der diese Tätigkeit mehr als 30 Jahre beim Hessischen Rundfunk ausübte. "Verschliffen" werde auch das Schwäbische - als Corino 1963 nach Tübingen zum Studieren kam, habe man in Derendingen noch "ein gerissenes R" gesprochen, mittlerweile sei das ausgestorben. Warum? Die Unterschiede zwischen einzelnen Ortschaften, die sprachlich früher ganz normal waren, würden durch Mundartserien im Fernsehen nivelliert, sagte Corino.

 

Das sieht auch Wilhelm König so, der zu dem Stammtisch eingeladen hatte: "Wenn früher ein Hülbener im Bus im Ermstal den Mund aufgemacht hat, wusste man gleich, wo er herkommt", erzählte er den rund 60 Zuhörern, die sich ebenfalls auf der Bühne niedergelassen hatten.

 

Zu Beginn der munteren Unterhaltung hatte Rainer Kurze als Chef des Reutlinger Freilichttheaters die Definition von Sprache à la Brockhaus zum Besten gegeben. "Das war ja nun die pure Theorie", kommentierte König die schwer verständliche Abhandlung. Ganz praktisch hat Werner Wunderlich festgestellt: "Unsere Sprache bewegt sich, einiges geht verloren." Wie zum Beispiel das "ß" - "ach wie war des schee, des Dreierles-S", bedauerte der Stadtführer.

 

Um dem Schwäbischen mehr Geltung im deutschsprachigen Raum zu verschaffen, hat Dominik Kuhn einen erfolgreichen Weg gewählt: Er synchronisiert Filme, die ganz offensichtlich nichts mit Baden-Württemberg zu tun haben (wie etwa "Star Wars") und legt den Handelnden den hiesigen Dialekt in den Mund. Allerdings tut Kuhn das nicht nur mit Schauspielern, sondern auch mit Politikern. Wie etwa Angela Merkel oder gar Barack Obama. Zum Brüllen, wenn der amerikanische Präsident in breitestem Schwäbisch bei der "Eigentümerversammlung in der Wilhelmstraße 48" über die "Drahtesel im Treppenhaus" schimpft. Mit einem seiner Kurzfilme hat es Kuhn in die Sat-1-Wochenschau geschafft.

 

Ein Problem ist nach den Worten des Filmemachers und Produzenten aber: Außerhalb des Ländle hafte dem Schwäbischen ein "Dorftrottel-Image" an. Dennoch sei die Nachfrage nach Mundart in ganz Baden-Württemberg mittlerweile wieder groß. Was laut Corino sehr zu begrüßen ist, denn: "Mit jeder aussterbenden Sprache geht ein Weltbild verloren." Kuhn dazu: "Der Schlüssel zum Verständnis einer Kultur ist die Sprache." Und das gelte auch für Dialekte.




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