Naturtheater Reutlingen Mark Gewand 3 72762 Reutlingen Wasenwaldfestspiele Wasenwald Festspiele Homepage Naturtheater Reutlingen Mark Gewand 3 72762 Reutlingen Wasenwaldfestspiele Wasenwald Festspiele Homepage


22.06.2009 - Reutlinger Nachrichten

Das Musical "Der kleine Horrorladen": Toller Spielzeitauftakt am Naturtheater Reutlingen


Zähne wie der weiße Hai

Rote Lippen und Zähne wie der weiße Hai:

Rote Lippen und Zähne wie der weiße Hai: "Der kleine Horrorladen" am Naturtheater Reutlingen / Foto: Kipp

Von Kathrin Kipp

 

Mit der furiosen Inszenierung des Musicals "Der kleine Horrorladen" hat sich das Ensemble des Naturtheaters in der Regie von Susanne Heydenreich dieses Mal selbst übertroffen: Am Ende gab's Standing Ovations.

 

Gerade in Zeiten, in denen skrupellose Heuschrecken den künstlich hochgejazzten Weltmarkt kahl gefressen haben, kommt eine solche Story natürlich besonders gut an: Vom kleinen Blumenhändler, der für Geld, Erfolg und Liebe seine Seele an den Teufel beziehungsweise an eine gefräßige Monsterpflanze verkauft, die eine Vorliebe für frisches Menschenfleisch hat. Die aber dafür alle Wünsche erfüllen kann.

 

Auch dieses Teufelchen kommt auf leisen Sohlen: Nichts ahnend hat Seymour dieses zarte Gemüse erstanden, das sich vom unscheinbaren Topfblümchen bald zu einem gierigen Vernichtungs-Unkraut entwickelt.

 

Howard Ashman und Alan Menken haben die kapitalismuskritische "Faust"-Variante in ein Musical gepackt, das Regisseurin Susanne Heydenreich mit dem unter ihren Händen immer professioneller werdenden Naturtheater-Ensemble zu einer energiegeladenen Horrorshow aus Tanz, Gesang, Schauspiel und dekorativen Bildern zusammengemixt hat.

 

Mehr noch: auch zu einer stimmigen Mischung aus Action, Slapstick, überzogenem Kitsch, Gefühl und Botschaft. Eine kesse Mädchen-Riege direkt aus der Mülltonne bildet von Anfang an ein glamouröses Rudelbild nach dem andern und tanzt sich in den schmissigen Choreographien von Carmen Lamparter und den immer glitzernderen Kostümen von Lucia Tunas die Seele aus dem Leib und singt, als gäbe es kein Morgen (Musik: Alexander Reuter). Gibt es ja auch nicht, denn das sympathische Fleischfresserchen hat nicht weniger als die Weltherrschaft im Sinn, die es mit seinen überall hervorquellenden Fangarmen übernehmen will.

 

Die Schöpfungsabteilung des Naturtheaters hat für die diesjährige Hauptfigur ganze Arbeit geleistet und immer bombastischere Gewächse geschaffen. Denn die Pflanze, anfangs im Töpfchen, später als Handpuppe und wieder später als warzige Superbeule, entwickelt ein erstaunliches Eigenleben und reißt dann nach Herzenslust ihr Haifisch-Maul auf, macht einen auf dicke Lippe, wackelt, rülpst und singt dabei, verspeist Menschen am Stück und ist kaum in Schach zu halten. Es sei denn, man hängt die hungrige Knospe an den Bluts-Tropf. Carlos Vogt steckt in der fetten, zynischen Fressmaschine, die manchmal aber auch Gefühle zeigen kann und - wie das Böse generell - auch sehr lustig sein kann.

 

Ihr Besitzer braucht keinen grünen Daumen, sondern viele Blutkonserven und starke Nerven. Das ist eigentlich nichts für Seymour, der als kleiner Angestellter im Blumenladen den klassischer Looser gibt: Sascha Diener stolpert als liebenswerter Klemmi mit dicker Brille über jedes Hindernis und bekommt jede Tür auf die Birne geknallt, wenn er nicht gerade mit dem Rollstuhl die Schräge hinunter rauscht.

 

Erst mit pflanzlicher Hilfe wird er zum Super-Star mit jeder Menge Groupies und TV-Angebote. Berauscht schwimmt er mit auf der grünen Welle, die ihn da zufälligerweise erfasst hat, zerstückelt seine Opfer zwar mit viel Widerwillen, aber herzerfrischendem Blutgespritze. Zwischendurch finden die Horrorladen-Angestellten immer wieder Zeit für ein flottes Tänzchen oder einen gefühligen Song.

 

Flotte Tänzchen und gefühlige Songs

Seymours Liebe gilt Audrey (Julia Coolens), einer minderwertigkeits-komplexbeladenen Barbiepuppe in Rosa, Platinblond, Veilchenlila und Tigermuster, die sich vom Barmädchen zur erfolgslosen Blumenverkäuferin hochgearbeitet hat. Derzeit muss sie noch hinter ihrem Lover herhoppeln, der mit seinem Poser-Motorrad durch den Wasenwald braust: Holger Schlosser als Sado-Zahnarzt, Schläger und Obermacker - gefundenes Fressen also für Seymour.

 

Mit im Spiel ist außerdem der leicht knurrige Mr. Mushnik (Ingo Raiser), der den plötzlichen Aufschwung seines Ladens allerdings auch nicht ganz unbeschadet überlebt. Das Fazit eines unterhaltsamen Abends: eine furiose Inszenierung, ideenreich in Szene gesetzt. Am Ende: Standing Ovations.




© 1999-2024 ITOGETHER