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18.08.2008 - Reutlinger General-Anzeiger

Grusical - In einem Mitternachts-Special ließ nun auch das Reutlinger Naturtheater die Vampire los. Die erwiesen sich als erstaunlich gesangsverliebt und tanzwütig

 

Sir John wetzt die Zähne

Von Armin Knauer

 

Der erste Spuk wartet schon auf dem Parkplatz. Die Besucher des Mitternachtsspecials drängen mit ihren Autos zum Naturtheater, aber die Zuschauer von "Les Misérables" sind noch nicht weg. Blechchaos im Wasenwald, ein Naturtheater-Mitarbeiter wirft sich mit dramatischen Gesten ins Getümmel und stopft jede Lücke am Wegesrand mit einem Heilixblechle.

 

Zweiter Spuk vor der Zuschauerhalle: Bei den "Misérables" wird länger geliebt und gelitten als gedacht. Alles wartet, Naturtheaterchef Rainer Kurze geistert ruhelos wie ein Wiedergänger durch die Szenerie, als es losgeht, ist Mitternacht tatsächlich nicht mehr weit.

 

Bevor die Vampire auftauchen, wird aber erst noch die zwanzigtausendste Besucherin der Saison geehrt: Es ist eine junge Dame aus Göppingen. Dann aber endlich "Der Fluch von Isenbrouwn". Naturtheater-Jugendleiter Sascha Diener hat zur Feder gegriffen und dem Musicalgenre gefrönt. Dem Horror. Dem Slapstick. Immer reihum. Immer total hemmungslos. "Es wird gebissen", warnt Rainer Kurze. "Und Blut fließt!" Gelächter im Publikum.

 

Böse Vorahnungen

Vor dem Blut fließen Tränen der Rührung. Die Familie von Rudolph bricht nach Schloss Isenbrouwn auf und Mutter Emma, gespielt von Angela Sautter, ergeht sich in einer traurigen Ballade. Sie ahnt Böses, wird aber nur vom Publikum erhört, das wie wild applaudiert.

 

Auf Schloss Isenbrouwn warten tanzende Zimmermädchen und eine dämonische Haushälterin namens Mrs. Footer. An den Koffern der angereisten Familie demonstriert sie, warum England eine große Fußballnation ist. Kofferträger Krausal verzweifelt. Dann senkt sich der Abend über Isenbrouwn. Zeit für schmachtende Liebesduette und Texte vom Kaliber "Wer kann schon ohne Liebe sein/Sie haucht uns allen Leben ein". Claudia Sieger als Rudolphs Frau Darlene brilliert mit opernhaftem Sopran; er, gespielt von Sascha Diener, hält stimmstark dagegen. Silke Bayer haucht als Doris zarte Liebesschwüre; ihr Angebeteter Bruce kämpft in Gestalt von Johannes Blattner etwas mit der Intonation.

 

Dann gruselt's endlich richtig. Julia Coolens wird als Mrs. Footer stimmlich wie darstellerisch zur Furie. Schlossherr John alias Andreas Pedretti entpuppt sich als Fürst der Finsternis. Martin Weiss ist als verlorener Sohn Frank auch schon auf der Seite der Untoten angekommen. Beneidenswert, über welch glutvolle Baritone die Schattenwelt verfügt! Auch Stefan Essigbeck als Engel des Todes singt sehr lebendig.

 

Umflattert werden sie von wildem Vampirgelichter, dem Carmen Lamparter unheimlich flackernde Choreografien auf den Leib geschneidert hat. Selbst vor dem Publikum macht das Schattenvolk nicht Halt. Und mitten rein stolpert immer wieder Pasqual Muckenfuß als Kofferträger Krausal auf dem Weg von einem Missgeschick ins nächste.

 

Es kommt, wie's kommen muss, die Familie Rudolphs wird nach und nach von scharfen Eckzähnen dahingerafft. Am Ende steht Schloss Isenbrouwn in Flammen, die zarte Doris verliert völlig den Kopf und die dunklen Heerscharen strömen hinaus in die Welt. Das Publikum, von den darstellerischen wie sängerischen Qualitäten gleichermaßen begeistert, strömt seinerseits hinaus und fragt sich auf dem Weg zum Parkplatz, wann die Naturtheaterleute das aufwendige Spektakel neben den beiden laufenden Produktionen überhaupt auf die Beine gestellt haben. Muss wohl zur Stunde der Vampire gewesen sein.




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