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24.06.2008 - Reutlinger Nachrichten

Das Naturtheater Reutlingen zeigt das Liebes- und Revolutionsdrama Les Misérables

 

Barrikaden und große Gefühle

Von Kathrin Kipp

 

Die neue Zuschauerhalle bietet genug Raum für große Gefühle: Den braucht es auch für das Liebes- und Revolutionsdrama nach Victor Hugos "Les Misérables" - spannend inszeniert von Susanne Heydenreich.

 

Revolutionäre Massen, die Barrikaden bauen, Mistgabel und Flagge in die Höhe recken und kämpferisch die Marseillaise singen, bis Schüsse und Feuer dem umstürzlerischen Treiben ein Ende bereiten: Da ist mächtig was los auf der Bühne des Reutlinger Naturtheaters.

 

Die hier gespielte Fassung von Victor Hugos "Les Misérables" ist allerdings weniger auf effektvolle Action, sondern mehr auf großes Drama ausgerichtet. Regisseurin Susanne Heydenreich erzählt eine Geschichte voller Unterdrückung, Elend, Egoismus, Neid, Hass und Rache, aber auch ein klein wenig zarter Romantik.

 

Die Geschichte von Jean Valjean, der mit seiner Pflegetochter Cosette Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich zwischen die Fronten von Armut, Staatswillkür und revolutionärer Umtriebe gerät, nachdem er wegen eines kleinen Diebstahls 19 Jahre in Gefangenschaft verbracht hat.

 

Immer wieder treibt es den guten Menschen in die Hände seines Intimfeindes Inspector Javert, mit dem ihm ein lebenslanges Duell verbindet. Susanne Heydenreich hat sich mit ihrer Inszenierung bewusst gegen ein Musical, sondern für die Theaterfassung von Cornelia Wagner entschieden, die sie hochkonzentriert auf die Bühne bringt.

 

Heydenreich erzählt eine Geschichte, die trotz ihres Umfangs nie an Spannung verliert und setzt dabei trotz der Barrikaden-Action weniger auf Effekte, sondern vor allem auf Emotionen, die von den sehr gut eingestellten Schauspielern intensiv zum Ausdruck gebracht werden.

 

Die üppig als Stimmungskatalysator eingesetzte Instrumentalmusik lässt den Naturtheaterabend beinahe zu einem cineastischen Erlebnis geraten, stünden da nicht echte Bäume und historische Kulissen herum. Die bilden mit der betont modernen Atmosphäre des neuen Zuschauerraums einen ziemlich krassen Gegensatz - vielleicht als Architektur gewordene Aufforderung an die Zuschauer, von den gezeigten Historien immer wieder auch den Bogen zu heutigen Verhältnissen zu schlagen.

 

Denn trotz seiner historischer Verortung erzählt Victor Hugos Roman ja eine recht zeitlose Geschichte vom verzweifelten Überlebenskampf einer Handvoll Menschen, deren Mittel knapp sind. Sie handeln deshalb ganz nach Brechts Motto "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" - außer Valjean, der sich auf fast schon überzogene Weise dem "Gesetz des Egoismus" entgegenzustellen und gesellschaftliche Missstände durch individuelles Guthandeln abzumildern versucht.

 

Insgesamt steckt hier vielleicht ein klein wenig zu viel des Guten und Bösen in den üppigen Kostümen. Die zeigen viel Elend, aber auch ein klein wenig Pariser Chic und sorgen wie immer für prächtige Bilder.

 

Die Schauspieler wiederum zeigen mit maßvollem Einsatz viel Einfühlungsvermögen. Bei Ex-Knacki und Jetzt-Wohltäter Jean Valjean ist die Resozialisierung wie gesagt so vorbildlich gelaufen, dass es beinahe weh tut.

 

Uwe Rittmann zeigt ihn als herzzerreißend gutmütige Vaterfigur. Tanja Schönwälder als dessen Adoptivtochter Cosette wiederum bringt ein wenig Leben in die Bude, weil sie trotz ihrer schwierigen Kindheit bei den überaus garstigen und egoistischen Thénardiers (Ingo und Ute Raiser) ein lebensbejahendes, fröhliches Wesen ist, das allerdings von der Realität auch konsequent abgeschottet wird.

 

Diese kommt nicht nur im ganzen Elend des Volkes sowie im revolutionären Treiben der gutgelaunten Studenten zum Ausdruck, sondern flattert ebenfalls mit Sascha Diener als Marius über die Bühne, der sich Knall auf Fall in Cosette verliebt, was ihrem Ziehvater gar nicht passt. Holger Schlossers unerbittlichem Inspektor Javert passt auch vieles nicht, muss aber schließlich an seiner fanatischen Ordnungssucht scheitern.




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