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25.05.2013 - Reutlinger General-Anzeiger

Ausstellung - Vitrinen-Schau des Stadtarchivs widmet sich der Gründung des Reutlinger Arbeiterbildungsvereins


Zur Geschichte des Naturtheaters

Arbeiterbildungsvereine stellten bis zur Entstehung von Parteien die vorherrschende Organisationsform der deutschen Arbeiterbewegung dar. Sie spielten zudem bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle als lokale Volksbildungseinrichtungen.


Anlässlich der Gründung des Arbeiterbildungsvereins Reutlingen, einem Vorläufer des Reutlinger Naturtheaters, beschäftigt sich eine kleine Vitrinenausstellung des Stadtarchivs im Rathaus-Parterre mit der Geschichte dieses 1863 entstandenen Zusammenschlusses.

Das Schauspiel steht beim Naturtheater schon seit vielen Jahrzehnten im Mittelpunkt. Auf dem Bild aus dem Jahre 1937 eine Szene aus »Agnes Bernauer« / Foto: privat

Das Schauspiel steht beim Naturtheater schon seit vielen Jahrzehnten im Mittelpunkt. Auf dem Bild aus dem Jahre 1937 eine Szene aus »Agnes Bernauer« / Foto: privat

Zu sehen ist die Exposition zu den üblichen Öffnungszeiten des Rathauses bis Ende August. Zeitgleich werden in den Vitrinen des Stadtarchivs auch Dokumente anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Hermann-Kurz-Schule sowie zu den Quellengattungen Stadtratsprotokolle und Extraktenbücher präsentiert.


Im Zuge der Revolution

Im Zuge der Revolution von 1848/49 hatte sich ein Reutlinger Arbeiterverein gebildet, der sich im Winter 1849/50 wieder auflöste. Den Repressionen der nachrevolutionären Zeit folgte Ende der 1850er-Jahre deutschlandweit eine neue Ära liberalerer Politik. Mit dem Ende der sogenannten Reaktionszeit kam es zur Neugründung von Gewerkschaften und Arbeitervereinen. Wie in zahlreichen anderen württembergischen Städten konstituierte sich auch in Reutlingen ein Arbeiterbildungsverein, der am 10. Juli 1863 gegründet wurde.

Zwar erfolgte die Vereinsgründung ohne unmittelbare Anknüpfung an organisatorische oder personelle Traditionen des ehemaligen Arbeitervereins, der Arbeiterbildungsverein übernahm jedoch in den ersten Jahren seines Bestehens beispielsweise dessen Fahne mit dem Emblem der zwei verschlungenen Hände als Symbol für die Arbeiterverbrüderung.

Geprägt waren die ab den 1860er-Jahren entstehenden und im Vergleich zur 1848er-Arbeiterbewegung generell weitaus gemäßigter agierenden Vereine vor allem von sozialharmonischen Ideen etwa Hermann Schulze-Delitzschs, einer der Gründerväter des deutschen Genossenschaftswesens. Die Vereine stellten die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft, die im Wesentlichen Industrie- und Landarbeiter sowie Handwerksgesellen umfasste, in den Mittelpunkt ihrer Bestrebungen.

Dementsprechend war das Ziel des Arbeiterbildungsvereins Reutlingen neben der »Veredelung des mehrstimmigen Gesangs gesellschaftlicher Lieder« zunächst die Unterstützung kranker Mitglieder und die Auszahlung von Reisegeld bei Wanderschaft. Zur Realisierung dieser Vorhaben rief der Arbeiterbildungsverein noch im Gründungsjahr 1863 eine Sparkasse ins Leben, 1865 folgte eine Krankenkasse. Zum Vereinsprogramm gehörten ebenfalls Bildungsvorträge und Unterrichtsangebote sowie ab 1865 eine Bibliothek.

Auch der politisch zur 1864 konstituierten württembergischen demokratischen »Volkspartei« (VP) tendierende Reutlinger Arbeiterbildungsverein orientierte sich zeitweilig an der im August 1869 durch August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach gegründeten »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« (SDAP), eine von mehreren Vorläuferparteien der SPD.

 

Starkes Wachstum des Vereins

1871 wurde der Antrag des damaligen Vereinsvorstands Carl Zirbs auf Anschluss des Arbeiterbildungsvereins Reutlingen an die SDAP mit »etlichen 20 gegen 3 Stimmen« abgelehnt. Daraufhin erklärten Zirbs und drei weitere Mitglieder ihren Austritt, weil der Verein »in seiner Mehrzahl die Wahrheit nicht hören und die Interessen der Arbeiter nicht begreifen wolle, ein bloßes Fortvegetieren als Bildungsverein aber zwecklos sei«.

Nachdem sich der Verein von der Politik gelöst hatte, wuchs er zahlenmäßig stark an – von weniger als 80 Mitgliedern im ersten Jahrzehnt seines Bestehens bis auf 250 im Jahr 1890. Chorgesang und Theaterspielen bildeten zunehmend den Mittelpunkt der Vereinsaktivitäten. 1912 entstand innerhalb des Arbeiterbildungsvereins der Dramatische Klub, der mit der Aufführung von Schauspielen an die Öffentlichkeit trat und gemeinsam mit der Sängerabteilung fortan das Vereinsleben bestimmte.

Im März des Jahres 1919 erfolgte die Vereinigung des Arbeiterbildungsvereins mit dem – 1882 unter dem Namen Schreinerfachverein gegründeten – Gesangverein Frohsinn zum »Arbeiterbildungsverein Frohsinn«. Nach der Machtübernahme 1933 wurde er aufgelöst, der Theaterklub konnte allerdings unter dem Namen »Reutlinger Naturtheater« eigenständig und erfolgreich weiterbestehen – bis heute. (GEA)




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