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11.01.2013 - Reutlinger Nachrichten

"Kein Ausweg in Sicht - Wenn Worte treffen wie Messerstiche": Die Jugendgruppe des Reutlinger Naturtheaters präsentierte im franz.K ihre Eigen-Produktion über Cyber-Mobbing unter Schülern.

Wenn Worte einen wie Messerstiche treffen

KATHRIN KIPP


Nichts verbreitet sich so schnell und hält sich so hartnäckig wie Gerüchte im Netz, vor allem, wenn man die vermeintlichen "Fakten" auch noch mit kompromittierenden Bildern "belegen" kann.

 

In "Kein Ausweg in Sicht" trifft es Leo (Heinrich Hammann), der nach einem Skype-Plausch mit seinem Kumpel Nick (Jakob Sulz) dummerweise vergessen hat, seine Webcam auszuschalten. Nick schaut daraufhin schadenfroh zu, wie Leo seinem jugendlichen Bedürfnis nachkommt, zeigt das Masturbationsfilmchen zunächst aber nur seinen Freunden. Als ihn Leo aber wegen dieser Sache verprügelt, ist Nick so sauer, dass er das peinliche Video ins Netz stellt und allen Bekannten schickt.

Die Jugendgruppe des Naturtheaters Reutlingen führte

Die Jugendgruppe des Naturtheaters Reutlingen führte "Kein Ausweg in Sicht" im franz.K auf - ein Stück über Mobbing im Netz / Foto: Kathrin Kipp

Die Tragik an der Geschichte: Nicht etwa Nick ist daraufhin der Böse, sondern Leo, den man als Exhibitionisten brandmarkt. Leo selbst kann sich weder wehren, dazu fehlen ihm die kommunikativen Mittel, noch ist er fähig, sich Hilfe zu organisieren.

 

Die Jugendgruppe des Naturtheaters hat sich von dem thematisch ähnlich gelagerten Film "Homevideo" aus dem Jahr 2011 inspirieren lassen und ein eigenes Bühnenstück zum Trendstoff Cyber-Mobbing produziert: Carina Weber, Manuela Hansow und Sophie Först haben den jugendsprachlichen Text geschrieben. Carina Weber und Ana Zivkovic haben das Stück dann einfühlsam für die Bühne umgesetzt, das jetzt im franz.K Premiere feierte. Mit wenigen Requisiten, dafür umso mehr Musik, die für die entsprechend dramatische Stimmung sorgt. Alina Braitmeier bereichert die Szenerie außerdem mit einem bewegenden Live-Song.

 

Das Stück beleuchtet in lockerer Szenenfolge die komplexe Problematik des Mobbings und zeigt die jeweils unterschiedlichen Interessen, Beweggründe und Gefühle der pubertierenden Schüler sowie der nicht weniger emotional reagierenden Erwachsenen. Aber es thematisiert vor allem auch die chaotisch-verzweifelte Gefühlswelt von Leo, der nicht imstande ist, seine Verletzungen zum Ausdruck zu bringen: Er kann die ganzen Stimmen und Beschimpfungen in seinem Kopf gar nicht entwirren, die ihm da virtuell und real entgegenknallen. Ist der Internet-Ruf aber erst einmal so richtig versaut, hilft ja eigentlich nur noch, die Identität zu wechseln. Was sich aber im realen Leben als eher schwierig gestaltet.

 

Die Regie jedenfalls nimmt das Drama in Leos Kopf schon ganz am Anfang vorweg, indem sie die verschiedenen Stimmen aus dem Off dröhnen lässt: "Spacko" und "Spaßbremse" lauten die noch eher zärtlichen Beschimpfungen. "Bestrafung ist das einzige Mittel!", proleten die Eltern, aber auch ein zartes "Ich liebe dich" mischt sich in die Kopf-Sinfonie.

 

Heinrich Hammann ist als Leo aber beileibe nicht nur Opfer, denn schon in der ersten Szene disst er einen dicklichen Mitschüler: immer auf die Schwachen. Schön realistisch ist die Inszenierung auch immer dann, wenn die Kids verzweifelt nach Worten suchen: Die zarten Bande zwischen Leo und Paula (Mara Jährig) werden eher stockend geknüpft. Dass Leo nicht ganz der große Rhetoriker ist, könnte auch daran liegen, dass seine Mutter (Ana Zivkovic) ein Alkoholwrack ist: Sie liegt praktisch permanent im Schnapskoma. Leos Schwester Lillie (Manuela Hansow) muss den Haushalt schmeißen, ist mit Leos Situation aber genauso überfordert wie dessen beste Freundin Ronja (Tamara Zornow). Pascal Muckenfuß als Paulas Vater wiederum will am liebsten gnadenlos durchgreifen, ohne sich mit den näheren Umständen des Konflikts auseinander zu setzen. Oder seiner Tochter mal zuzuhören.

 

Beim Elternabend setzt er sich energisch dafür ein, dass Leo von der Schule geworfen wird. Ganz seiner Meinung ist auch der örtliche Pfarrer (Timon Streicher), der irgendwas von Teufelsaustreibung redet und die Einweisung Leos in eine Klosterschule fordert. Während bei ihm zu Hause auch nicht alles eitel Heiligenschein ist: Seine Tochter Caro (Alina Braitmaier) ist in "sündig" homosexueller Weise mit Lillie liiert. Ronjas (Sophia Seitz) Mutter wiederum setzt sich für Leo ein. Und als Leos mittlerweile geläuterte Mutter auch noch mit dem Vertrauenslehrer anbändelt, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Aber als Leo in seiner pubertären Ungestümtheit von Paula zurückgewiesen wird, sieht er für sich keinen Ausweg mehr. Am Ende zitiert die Naturtheatergruppe Fälle aus der ganzen Welt, bei denen sich Jugendliche aufgrund solcher Geschichten tatsächlich das Leben nahmen.




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