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Eigentlich hat Oger Shrek (Heiko Raiser, links) keine Lust, seinen Sumpf zu verlassen. Aber was sein muss, muss sein. Der Esel (Thomas Kahlert) ist dabei. FOTOS: NIETHAMMER

Eigentlich hat Oger Shrek (Heiko Raiser, links) keine Lust, seinen Sumpf zu verlassen. Aber was sein muss, muss sein. Der Esel (Thomas Kahlert) ist dabei. FOTOS: NIETHAMMER

24.06.2019 - Reutlinger General-Anzeiger

Es ist okay, ein Freak zu sein

Freilichtbühne – Das Naturtheater Reutlingen zeigt im Wasenwald als Kinder- und Familienstück das Musical "Shrek"

 

VON ARMIN KNAUER

 

So hatte Prinzessin Fiona sich das nicht vorgestellt. In Jahren der Turmhaft beim bösen Drachen hatte sie sich einen Prinzen als Retter erträumt – stattdessen holt sie ein grüner Sumpfgrantler aus dem Turmverlies. Ein Oger.

 

Auch sonst ist im Musical "Shrek", das am Freitagabend als Kinder- und Familienstück des Reutlinger Naturtheaters auf der Bühne im Wasenwald Premiere feierte, alles ein bisschen anders. Bunt, schrill, politisch unkorrekt, samt Seitenhieben auf die Flüchtlingskrise und die Reality-TV-Knallcharge im Weißen Haus.

 

Migrantenstatus haben hier die Märchenfiguren. Lord Farquaad hat sie vertrieben, von Peter Pan über Pinocchio, die Hexe, das hässliche Entlein, die drei Schweinchen bis zu den sieben Zwergen und den transsexuell veranlagten Wolf. Begründung: Sie seien Freaks, Monster, unnormal. Nun stehen sie im Sumpf von Oger Shrek und der muss was tun, wenn er seine Ruhe wiederhaben will. Begleitet von einem quasselnden Esel macht er sich auf zu Lord Farquaad – und hat bald eine resolute Prinzessin an der Backe.

 

Showman mit kurzen Beinen

Die Inszenierung von Irfan Kars trifft die anarchische Verspieltheit des Animationsfilms. Farquaads Schloss ist eine Burg aus bunten Bauklötzen (Bühne: Maja Rumswinkel). Sein Gefolge paradiert in grellblauen Uniformen vor Anspielungen auf die US-Flagge (Kostüme: Sibylle Schulze) und tanzt mit Goldperücken Cheerleadertänze nach Aufziehpuppen-Art (Choreografie: Carmen Lamparter). Hier sind alle Automaten des Chefs – und der ist ein regierender Showman in Trump-Manier. Holger Schlosser ist der Brüller des Abends, wenn er mit seinen kurzen Kunstbeinchen über die Bühne stolziert und mit erlesener Arroganz alle herumkommandiert.

Holger Schlosser als Lord Farquaad vertreibt alle Märchenfiguren.

Holger Schlosser als Lord Farquaad vertreibt alle Märchenfiguren.

Auch die sieben Zwerge tauchen plötzlich in Shreks Sumpf auf. Die Ruhe ist dahin.

Auch die sieben Zwerge tauchen plötzlich in Shreks Sumpf auf. Die Ruhe ist dahin.

Heiko Raiser wiederum ist ein Oger zum Knuddeln. Bodenständig, unkompliziert, dabei deutlich knuffiger und weniger garstig als das Original. Die Prinzessin Fiona gibt’s hier gleich in vierfacher Ausfertigung: als Kind (Amelie Schlosser), Teenager (Anne Freise), Erwachsene (Julia Coolens) und Oger-Dame (Claudia Schickler). Schließlich wird Fiona nächtens aufgrund eines Hexenfluchs selbst zum Sumpfmonster. Famos, wie die Prinzessin bei Julia Coolens ihren Dickschädel durchsetzt. Da lauert hinter der noblen Fassade eine handfeste Type, die auch einem Furz- und Rülps-Duell mit Shrek nicht aus dem Wege geht. Claudia Schickler hingegen lässt in der Oger-Version der Prinzessin auch das Empfindsame der Figur spüren.

 

Begleitet werden sie auf ihrer Mission von Thomas Kahlert als dauerquasselndem Esel – der zweite Brüller des Abends: ein Huftier von städtischer Kultur und Bildung, das mit Herz und flotten Sprüchen die soziale Ader im Oger aufzustöbern weiß. Dass sich ausgerechnet die ruppige Drachendame (Sonja Soltic) in ihn verguckt, gehört auch zu den typisch Shrek’schen Absonderlichkeiten.

 

Aber darum geht es hier ja gerade: hohle Äußerlichkeiten platzen zu lassen, vom Schönheitsideal über aufgesetzte Benimmregeln bis hin zu dem, was angeblich normal ist. Herrlich, wie die Inszenierung von Irfan Kars den Hofstaat des Normalitätsfanatikers Farquaad als künstlichen Popanz entlarvt. Während die von ihm als Freaks geschmähten Figuren die eigentlich authentischen, zu ihren Wurzeln stehenden Charaktere sind.

 

Broadwayswing und Hippierock

Carmen Lamparter hat das in schwungvolle Choreografien gefasst, die von den fast vierzig Akteuren auf der Bühne, darunter jede Menge Nachwuchs, mit großem Elan umgesetzt werden.

 

Dazu kommen mit Herz und Mut intonierte Chöre und Soli (Einstudierung: Oliver Krämer). Wobei sinnigerweise Farquaads Hofstaat zu plüschigem Broadway-Swing tanzt, während die Sumpf- und Märchenwelt ihre Freiheit mit energiegeladenen Hippie-Rock-Hymnen feiert. Heiko Raisers Lieder haben die nötige Oger-mäßige Knorrigkeit. Julia Coolens singt wunderbar anmutig und klar, mit der nötigen Portion Trotz in der Stimme.

 

Ansonsten dürfen in so einem freakigen Kosmos auch die Gesangskünste ganz unterschiedlich ausfallen: von zart bis derb und schräg. Auch da stechen Kahlert und Schlosser als Esel und Lord mit ihrer Geschmeidigkeit und klaren Artikulation wieder erfreulich heraus.

 

Alles in allem ein turbulentes, schräges, am Ende aber doch zu Herzen gehendes Plädoyer für die inneren Werte. Freak sein, so nehmen wir mit nach Hause, ist völlig okay, sofern man das Herz am rechten Fleck hat. (GEA)




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