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15.06.2015 - Reutlinger General-Anzeiger

Konzert - Konstantin Wecker im ausverkauften Reutlinger Naturtheater: 40 Jahre im Dienst der guten Sache


Stationen einer bewegten Karriere

VON JÜRGEN SPIESS


Konstantin Wecker, längst nicht mehr nur Sprachrohr der Linken, der Toskana-Fraktion und ihrer Anrainer, verpackt seine kritischen Texte in wunderschöne Musik. Das beweist er einmal mehr bei seinem gut zweieinhalbstündigen Auftritt im seit Wochen ausverkauften Naturtheater. Selbst der nach der Pause immer stärker werdende Regen kann einen wie ihn nicht aufhalten.

 

Keine Frage, Feindbilder machen das Leben leichter. Sie ermöglichen es, klar Stellung zu beziehen. Gegen etwas, und somit ohne den unmittelbaren Zwang, Alternativen anzubieten. Nun ist Konstantin Wecker sicher keiner, der nur stänkert. Aber man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass das Abfeuern der verbalen Schrotflinte bei dem seit über 40 Jahren aktiven Liedermacher fast schon so etwas wie Gewohnheitscharakter hat. Trotzdem darf man die Botschaften des wortgewaltigen Münchners nicht als Phrasen abtun.


Selbstironische Geschichten

»40 Jahre Wahnsinn« heißt sein aktuelles Programm, in dem er die Stationen seiner bewegten Karriere Revue passieren lässt. Es ist ein Potpourri aus sehr persönlichen Titeln (»Wenn der Sommer nicht mehr weit ist«), Aufrufen zur Zivilcourage (»Sage nein«) bis zum politischen Statement (»Empört Euch«). Ein wenig leiser ist er zwar geworden aber deshalb nicht weniger intensiv.

 

Mit seinen deutlich jüngeren Begleitern Jo Barnikel (Klavier, Trompete, Keyboard, Trommel), Fanny Kammerlander (Cello) und Wolfgang Gleixner (Perkussion, Gitarre, Bandoneon, Tuba) zeigt sich der Barde noch immer sehr vital: Fast drei Stunden Konzert, eine Menge – auch selbstironischer – Geschichten und vier Zugaben, davon eine mit dem Publikum beim gemeinsam intonierten »Die Gedanken sind frei«.

 

Der 67-jährige Wecker beweist Kondition und lässt sich auch durch den Regen nicht aus der Ruhe bringen. Er hält Rückschau auf eine bewegte Musikerkarriere und ist mitten in seinem Element. Er erzählt von seinem »krankhaften Wandertrieb«, der ihn einst vor der Bundeswehr bewahrte, prangert in einem Atemzug die CIA und die NSU-Terrorzelle an und plädiert vehement für eine Asylgewährung für Edward Snowden.

 

Ständig wechselt Wecker vom Klavierhocker zur Bühnenrampe, immer wieder unterbrochen vom begeisterten Zwischenapplaus. Auch mehrere Ausflüge auf die Zuschauertribüne unternimmt er, begleitet von grenzenloser Zustimmung.

 

Peinliche Jugendsünden

Nicht nur die alten, bekannten Klassiker wie »Genug ist nicht genug«, »Der alte Kaiser« oder das aus dem Jahr 1977 stammende Kultstück »Willy« in seiner ursprünglichen Version (»Ich muss jetzt nach vier Jahrzehnten doch mal die Katze aus dem Sack lassen: Willy ist nicht tot, er lebt!«) singt Wecker vor einem Publikum, das in jeder Beziehung hinter ihm steht. Nicht, weil er ein unverbesserlicher Meister der Belehrungen ist, sondern weil er als überzeugter Idealist hinter dem steht, was er singt.

 

Und Wecker kann auch selbstironisch sein, berichtet genüsslich von peinlichen Jugendsünden, von seinen beiden Gefängnisaufenthalten und von den Anfängen seiner Karriere, als er 1966 mit »sado-poetischen Gesängen« in einer Münchener Schwulenbar auftrat.

 

Am Ende wandert er feixend durch die Zuschauerreihen und singt: »Jetzt werden sie wieder sagen: Schaut ihn euch an, den Moralisten« – und fügt lachend hinzu: »Bin ich hier eigentlich bei einem Konzert oder beim Kirchentag?« (GEA)




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