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15.06.2015 - Reutlinger Nachrichten

Ein entspannter Konstantin Wecker schaut im Naturtheater vor gut 1000 Besuchern zurück - und lässt Stationen seiner Karriere Revue passieren. Heraus kommt ein mit stehenden Ovationen bedachtes Konzert.


Mein Freund Willy lebt

Jürgen Spiess

Konstantin Wecker bot im Reutlinger Naturtheater eine Mixtur aus anspruchsvollen Chansons mit lyrischem Tiefgang, politischen Statements und vielen alten Liedern / Foto: Jürgen Spieß

Konstantin Wecker bot im Reutlinger Naturtheater eine Mixtur aus anspruchsvollen Chansons mit lyrischem Tiefgang, politischen Statements und vielen alten Liedern / Foto: Jürgen Spieß

Nein, mit großen Gesten um die Gunst des Publikums buhlen, das hat Konstantin Wecker nicht mehr nötig. Nahezu unbemerkt vom noch angeregt palavernden Publikum betritt er die Bühne, setzt sich ans Klavier und beginnt seine Rückschau auf 40 Jahre Aufbegehren gegen Intoleranz und Fremdenhass.


Der bayrische Liedermacher ist bei sich angekommen, gibt sich aufgeräumt, gewohnt wortreich, moralisierend und stets mit einem lockeren Spruch auf den Lippen - über die skrupellosen Fifa-Offiziellen, über maßlose Politiker und Sportfunktionäre und das ganze korrupte Establishment. "40 Jahre Wahnsinn" heißt sein aktuelles Programm, eine Mixtur aus anspruchsvollen Chansons mit lyrischem Tiefgang, politischen Statements und vielen alten Liedern.

 

Gleich zum Auftakt steigt der Poet am Klavier mit ein paar unbequemen Songs ein, interpretiert das alte Kultstück "Willy" (1977) in seiner ursprünglichen Version und verkündet mit breitem Lächeln: "Ich muss jetzt nach vier Jahrzehnten doch einmal die Katze aus dem Sack lassen: Mein Freund Willy ist nicht tot, er lebt! Er ist sogar hier, begleitet mich auf der Tour und verkauft draußen CDs und Fanartikel."

 

Nicht nur die alten Klassiker wie "Genug ist nicht genug", "Der alte Kaiser", "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" oder "Sag' nein!" singt der 67-Jährige, auch Unbekanntes wie "Was tat man den Mädchen" und "Im Namen des Wahnsinns" wird wiederbelebt.

 

So oder so hängt das Publikum dem streitbaren Künstler an den Lippen, jubelt ihm zu, leger auf den roten Ledersitzen auf der Tribüne sitzend. Nein, da sitzt dieses Mal kein zerfahrenes Energiebündel am Klavier, das um jeden Preis auffallen will. Vielmehr gibt sich Wecker selbstironisch, berichtet genüsslich von peinlichen Jugendsünden, von seinen beiden Gefängnisaufenthalten und von den Anfängen seiner Karriere, als er 1966 mit "sado-poetischen Gesängen" in einer Münchener Schwulenbar debütierte.

 

Konstantin Wecker kann man durchaus - ohne ihm dabei Böses zu wollen - als typisch deutschen Liedermacher bezeichnen: moralisierende Texte über gesellschaftliche Missstände und Außenseiter (als solchen er sich selber bezeichnet), im Hintergrund die melancholisch dahinplätschernden Akkorde seines Klaviers und dazwischen immer wieder diese locker inszenierten Sprüche über korrupte Banker, Börsianer, Spekulanten, Richter und Politiker.

 

Doch Konstantin Wecker und seine Begleiter Fanny Kammerlander (Cello), Wolfgang Gleixner (Perkussion, Gitarre, Bandoneon, Tuba) und Jo Barnikel (Klavier, Fügelhorn, Akkorden, Schlagzeug) - seinem "Lebenspartner in der Musik" - machen eben auch hervorragende Musik mit lyrischem Tiefgang.

 

Neben musikalisch anspruchsvollen Liedern ("Im Namen des Wahnsinns", "Absurdistan") bilden meist nachdenkliche und tiefsinnige Songs wie "Was mir der Wind erzählt" oder das hinreißende "Weil ich Dich liebe" den textlichen Hintergrund der auf Deutsch gesungenen Chansons. Jemanden aus dem Ensemble herauszuheben, wäre ungerecht: Alle drei sind versierte Instrumentalisten und treiben sich gegenseitig wiederholt zu Höchstleistungen an. Fanny Kammerlander spielt zwar zurückhaltend, dafür aber umso wirkungsvoller ihr Cello, begleitet mal lächelnd, mal nachdenklich kokettierend die Eigenkompositionen des Bandleaders.

 

Nur wenigen Liedermachern gelingt es auf so eindringliche Weise, mit kleinen Mitteln große Wirkung zu erzielen und Atmosphäre zu schaffen. Und das, obwohl nach der Pause starker Regen einsetzt und die Voraussetzungen für ein gutes Konzert immer schwieriger werden. Am Ende eines langen Auftritts gibt es trotzdem noch vier Zugaben, unter anderen das gemeinsam mit dem Publikum gesungene "Die Gedanken sind frei" - und da ist sie wieder, diese kollektive Sehnsucht nach dem "echten" Leben und nach tiefen Gefühlen.




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