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02.07.2012 - Schwäbisches Tagblatt, Tübingen

Pippi Langstrumpf im Reutlinger Naturtheater, hier im Kampf mit Räubern, die an ihre Ersparnisse wollen / Bild: Haas

Pippi Langstrumpf im Reutlinger Naturtheater, hier im Kampf mit Räubern, die an ihre Ersparnisse wollen / Bild: Haas

02.07.2012 - Schwäbisches Tagblatt, Tübingen

Pippi-Langstrumpf-Premiere im Naturtheater Reutlingen

 

Für die Freundschaft

Ein Halbwaisenmädchen, das keine Erziehung genossen hat, das mit Tieren zusammen haust, das von den Behörden bedrängt, vom Establishment diskriminiert wird und von dem keiner glaubt, dass es nur Halbwaise ist, bis der Vater, ein verlumpter Freibeuter, leibhaftig in Erscheinung tritt.


Eigentlich wären das hervorragende Voraussetzungen für eine Tragödie, wenn dieses Mädchen nicht auch diejenige wäre, die es einfach nicht lassen kann, komische Lügengeschichten zu erzählen, in deren Welt es die Zahl elfundsiebzig gibt und die eine Anarchistin ist, nicht aus Überzeugung, sondern aus Gewohnheit, weil sie einfach nicht anders kann und weil sie es sich leisten kann. Schließlich ist sie auch das stärkste und reichste Mädchen der Welt.

 

Pippi Langstrumpf ist die merkwürdigste Figur, die Astrid Lindgren erschaffen hat, und vielleicht die einzige, die Kinder gleichermaßen wie Erwachsene fasziniert. Und deswegen waren zur Premiere am Naturtheater am Freitagabend auch einige Große ohne Kleine gekommen.

 

Das Stück (Regie: Ambrogio Vinella) orientiert sich mehr am Film als am Buch, erweitert die Vorlage aber um Tanz- und Gesangseinlagen (Musik: Alexander Reuter). Die Präzision und Detailverliebtheit von Bühnenbild und Ausstattung sind überwältigend: Mit Villa Kunterbunt und Hoppetosse, mit echtem Pferd und (fast) echtem Affen. Das Ensemble aus 31 Akteuren, Kinder und Erwachsene, agiert souverän, hat die (wenn auch stereotypen Charaktere) verinnerlicht und profitiert zusätzlich von einer genialen Sophia Seitz in der Rolle der Pippi.

 

Wenn Pippi sich gegen Polizisten oder Hütchen-Schühchen-Täschchen-Damen („Kinder soll man segnen, nicht hören“) auflehnt, wirkt das alles so unangepasst vorbildlich und nachahmenswert. Wenn sie am Ende aber vom Vater, dem seine Profession wichtiger ist, als die eigene Tochter, mit einem weiterem Sack Geld abgespeist wird („ehrlich verdientes Seeräubergeld!“)und die Geschichte das Jugendamt hier immer noch als den Feind verstanden wissen will, darf man dann, oder muss man dann nicht sogar auch mal nach der Kehrseite dieser Botschaft, nämlich nach der Moral fragen?

 

Tut man das direkt bei der Protagonistin ist die Antwort eher ernüchternd. Pippi entscheidet sich am Ende gegen das Freibeuterleben, gegen den Vater und für die Freundschaft und das gesittete Leben, und damit auch irgendwie ein bisschen für das Establishment. Vielleicht versteht sie das aber auch nur als ein Abenteuer. MORITZ SIEBERT




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