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02.11.2009 - Reutlinger Nachrichten

Amouröse Abenteuer und Gift: Das Naturtheater zeigt "Fisch zu viert" in der "Waldesslust"


Arsen und Spitzentäubchen

Von Kathrin Kipp

 

Gier, Geiz, Gift, Grusel: Ein recht toxisches Quartett versammelt sich da in der Boulevard-Komödie zum Kaffeekränzchen. Mit "Fisch zu viert" feiert das Reutlinger Naturtheater in der Waldesslust seine Herbstsaison.

 

Rudolf, seit 30 Jahren Diener bei den drei Schwestern Charlotte, Cäcilie und Clementine, ist ziemlich ausgebrannt. Einst stand er besser im Saft und den drei Damen für amouröse Abenteuer zu Diensten. Diskret versteht sich. Dafür hat er sich in alle drei Testamente schreiben lassen. Nun will er auf Weltreise gehen, hätte gerne seine Erbschaften im Voraus ausbezahlt und setzt deshalb die drei Spitzentäubchen gewaltig unter Druck. Die Damen ihrerseits wollen wiederum ihre frühen Sünden lieber unterm Deckelchen halten. Hilft also nur noch Gift. Die Frage bleibt, wer das Arsenfläschchen am schnellsten zückt.

 

Wolfgang Haase ("Sommer vorm Balkon") und Rita Zimmer haben das Stück Anfang der 1970er Jahre zunächst als Hörspiel, später als Theaterstück verfasst. Es spielt 1838 im Märkischen, wo die drei Golden Girls gerade ihr Sommerhaus beziehen: Beim Naturtheater eine klassische Komödienstadl-Kulisse (von Sascha Diener) mit Türen, Tisch und Klavier, auf dem Rudolf einst den Liebeswalzer zu spielen pflegte.

 

Regie-Urgestein Werner Johst hat die Krimikomödie einstudiert und sie in ihrem biedermeierlichen Milieu belassen - vielleicht zu Recht, passen die Figuren mit ihrer scheinheiligen, moralinsauren Dauerentrüstung und spießbürgerlichen Selbstbeschränkung dann doch eher ins vorvorige Jahrhundert, auch wenn Gier, Geiz und das Begehren, aus den zarten Gefühlen anderer Kapital zu schlagen, durchaus zeitlos sind.

 

Die Schauspieler agieren ganz nach Boulevard-Tradition entsprechend affektiert und lösen damit die Vorgaben der Regie hervorragend ein. Johst setzt in seiner flotten Inszenierung vor allem auf Wortwitz und eine differenzierte Charakterdarstellung, denn der Reiz der Komödie besteht selbstverständlich unter anderem darin, dass die Schwestern, wie sie da täglich an ihrem Kaffeetischchen sitzen, grundverschieden sind.

 

So ist Sabine Anlaufs Charlotte die gestrenge Matriarchin der Familie, die sich um die Geschäfte kümmert und die Bieraktien beisammen hält. Sie ist mit allen unangenehmen Tugenden der Biedermeierzeit ausgestattet und geht komplett spaßfrei, zwanghaft sittlich, pflichtbewusst, geizig und mit einem erbost-nörgeligen Gesichtsausdruck durchs Leben. Ständig weist sie alle anderen zurecht. Das ist alles nur Fassade, denn auch sie hat sich das ein oder andere Schäferstündchen mit der Dienerschaft genehmigt.

 

Ute Raisers Cäcilie ist da schon ein wenig offenherziger und den Freuden des Daseins nicht abgeneigt: Pralinen, schickes Outfit, erotische Peitschenspielchen. Dafür muss Rudolf als züchtiger Soldat herhalten - wie demütigend. Aber Rudolf macht für Geld alles.

 

Petra Glaunsinger wiederum spielt das sentimentale Nesthäkchen Clementine, das trotz zunehmender Reife immer noch Schulmädchen-Zöpfe trägt, recht kindisch und verträumt tut, vom rigiden Familienoberhaupt bevormundet wird und sich deshalb mit der Strickliesel tröstet. Alles in allem macht man sich also gegenseitig das eh schon langweilige Leben zur Hölle, in der eine Partie "Mensch-ärgere-dich-nicht" schon ein heller Aufreger ist.

 

In dieser giftigen Atmosphäre brauchts eigentlich gar kein Arsen mehr. Und damit ist "Fisch zu viert" nicht die erste Boulevard-Komödie, bei der sich das Setting als überhaupt nicht lustig erweist. Andreas Pedretti wiederum war als junger Rudolf ein Schaumschläger, der mit schamlos kitschiger Poesie und schlonzigem Walzerspiel die Damen bezirzt hat. Jetzt im Alter spielt er sich plötzlich als Opfer auf: ein Hypochonder und Selbstbemitleider, der tuberkulotisch herumhustet. Ob er allerdings der Gerissenste im toxischen Quartett ist, das ist noch die Frage. . . Das Premierenpublikum jedenfalls war am Freitagabend ganz entzückt.




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