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19.08.2013 - Reutlinger General-Anzeiger

Naturtheater - Das Mitternachts-Special aus der Feder von Sascha Diener feiert die Apokalypse mit schwarzem Humor


Nur gut frisiert untergehen

VON ARMIN KNAUER

 

Es war ein Marathon, den das Naturtheater am Samstag zu bewältigen hatte. Nachmittags rettete Wickie ein letztes Mal seine Sippe vor dem schrecklichen Gröll. Abends reiste der spleenige Engländer Phileas Fogg zum drittletzten Mal um die Welt. Und die Nacht gehörte dann nach einem Jahr Pause wieder einem der berühmten Mitternachts-Specials aus der spitzen Feder von Sascha Diener – der sich zuvor als Phileas Foggs Diener Passepartout komödiantisch völlig verausgabt hatte.

Diesmal, räumte Sascha Diener am Ende ein, habe er beim Schreiben des Mitternachts-Specials eine Blockade gehabt und sei erst nach Anregungen mitdichtender Ensemblemitglieder in Fahrt gekommen. Nun, für einen alten Theaterhasen wie Diener kein Weltuntergang. Oder nein: gerade das! Denn das neue Stück holt genüsslich den Weltuntergang nach, den die Mayas angeblich für letztes Jahr prophezeit hatten.

Vorbereitungen fürs Weltende

Wir schreiben den 20. Dezember 2012, im Dörfchen Alopaklypse laufen die Vorbereitungen auf das prophezeite Ende auf Hochtouren. Bürgermeisterin Wohlgefeit (Angela Sauter) feilt an ihrer Abschiedsrede (»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Untergang!«). Ein Blondinentrio (Manuela Hansow, Carina Weber, Melanie Hageloch) stürmt hektisch den Friseurladen (»Mit der Frisur können wir doch nicht untergehen!«). Drei coole Checker (Marc Weinmann, Heinrich Hammann, Sinan Liebert) treibt die Sorge um, ein letztes Mal bei den Mädels zu landen. Familienvater Engelbert Einsam (Jan Bayer) hat das Haus verkauft, weil man’s ja nun nicht mehr braucht. Und alle haben sie noch kurz die Putzfrau (Susanne Hammann) entlassen (»Und wer räumt hinterher auf?«). Da platzt das Pärchen Arma und Geddon (Julia Coolens und Vasiliki Kobili) in die Dorfkulisse und verspricht eine Hintertür aus der Apokalypse – vorausgesetzt jeder zahlt tausend Euro …

Genüsslich zieht das Stück von Sascha Diener durch den Kakao, was passiert, wenn das Ende abgemachte Sache ist und deshalb zur Routine wird. Nicht weniger genüsslich zelebriert die Truppe, was passiert, wenn die versprochene Apokalypse ausbleibt. Aber keine Bange, das finale Katastrophen-Szenario samt prasselnder Pyrotechnik lässt sich die Truppe dann doch nicht entgehen!

Dorfposse und Space-Oper

Das Ganze ist teils köstliche Dorfposse, teils aber auch psychedelische Space-Oper. Denn immer wieder schwenkt das Stück gen Himmel, wo Familie Komet sich zum finalen Beschuss der Erde präpariert. In hautengen Neonkostümen (Trude Heck und Team) tanzt die Kometenschar schlangengleich zur Discobeleuchtung (Licht: Adrian Schickler/Konrad Lamparter) um den drallen Papakomet (Andreas Pedretti). Der Wechsel zwischen der kosmischen und der dörflichen Sphäre gibt dem Stück seinen Reiz.

Musikalisch kurvt es zwischen schrillen Disconummern und tränenreichem Musical-Melodram. Kometin Gearl (Alina Braitmaier) macht sich zu Melodien aus »Starlight Express« bereit, auf der Erde zu zerschellen. Claudia Sieger und Sascha Diener schmachten sich als getrenntes Liebespaar Herr und Frau Seerössler entgegen. Arma und Geddon feiern mit den Dörflern die Aussicht auf Rettung peppig mit Psy’s »Gangnam Style«. Und den finalen Einschlag erwarten alle in einer grandiosen Choreografie zu Michael Jacksons »Earth Song«.

Mitreißende Tanznummern

Die vielen von Carmen Lamparter ausgetüftelten Tanz-Szenen geben dem Untergangs-Szenario die Würze, mal als Discofox-Tableau, mal im zuckenden Techno-Stil. Das ist mit viel Schwung umgesetzt, genauso wie die Gesangsnummern mit starkem Niveau punkten. Da hat der musikalische Leiter Anselm Nadj ganze Arbeit geleistet.

Die von Susanne Hammann entworfene Kulisse deutet geschickt die enorme Weltkarte aus »In 80 Tagen um die Welt« zur Kometen-Zielscheibe um. Schauspielerisch bringen die Darsteller die absurde Komik toll auf den Punkt. Ein Knaller ist das abgedrehte Blondinen-Trio samt der drei Checker-Jungs.

Mit zwei Stunden Länge ohne Pause ist »Die Mayas haben sich verrechnet. Leider!« das bislang epischste Mitternachtsspecial. Mit seiner Mischung aus Dorfgroteske und Space-Oper hat das Stück von Sascha Diener, der auch Regie führte, das Zeug zum Klassiker. (GEA)




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