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19.08.2022 - Reutlinger General-Anzeiger

LEUTE - Wie der Leonberger Nils Strassburg versuchte, den King of Rock ’n’ Roll durch die Pandemiezeit zu retten


Elvis trotzt dem Corona-Blues

VON ARMIN KNAUER

 

REUTLINGEN/LEONBERG. Elvis ist tot. Fast auf den Tag genau seit 45 Jahren. Und doch lebt Elvis weiter. Dank Menschen wie Nils Strassburg. Seit vielen Jahren schlüpft der Leonberger in die Rolle des King of Rock ’n’ Roll. Mit samtweich raunender Stimme, Glitzerkostüm, Koteletten. Und Stapeln von Seidenschals, die er samt Küsschen an die meist weiblichen Fans verteilt. So wird das auch am 25. August im Reutlinger Naturtheater sein, wo Strassburg mit seiner Combo, den Roll Agents, nicht zum ersten Mal auftritt.

 

Elvis lebt – doch im Frühjahr 2020 starb er erneut. Am 6. und 7. März feierte Strassburg noch zwei Shows, dann ging wegen Corona nichts mehr. "Ich habe mich damals lustig gemacht über einen Typen im Publikum, der sich ein Taschentuch vors Gesicht hielt", erinnert sich Strassburg. "Das tut mir heute leid."

 

Bis dahin war Strassburg rastlos aktiv, managte auch die Stadthalle Leonberg. Dann plötzlich: nichts mehr. "Erstmal hat das sogar gutgetan", erinnert er sich. Als Bühnenkünstler habe man ja nie Urlaub. Endlich mal keine Termine, Zeit für die Familie. Einen finanziellen Puffer hatte er sich auch erarbeitet. "Und man dachte, in zwei Monaten ist es eh wieder rum."

 

Ist es nicht. Und Strassburg wird nervös. Die Bühne fehlt ihm, das Publikum. "Meine Frau hat gesagt, es wird Zeit, dass du wieder auf die Bühne kommst!"

 

"Erst hat der Lockdown gutgetan. Man dachte, in zwei Monaten ist es rum"

Das Schlimmste: Elvis droht tot zu bleiben. Das muss Strassburg abwenden. Er zieht mit seiner Combo für ein Streamingkonzert ins Studio. Stellt sich beim Stuttgarter Flughafen vor Fans in Autos. Seine Seidenschals lässt er dort von einem "Schal-Boy" mit Mundschutz verteilen, keimfrei eingeschweißt in Folie.

 

Das Ergebnis ernüchtert. Was bleibt vom Faszinosum Elvis, so ganz ohne Nähe? "Da kam die Depression." Die Feststellung: "Die Politiker haben es nicht im Griff. Die bestrafen die Kultur, ohne dass wir je ein Treiber der Pandemie waren." Doch hinschmeißen kommt nicht infrage. Strassburg engagiert sich, fährt nach Bielefeld, diskutiert dort mit der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Ende der Leidenszeit? Nils Strassburg als Elvis / Foto: NIco Deeg

Ende der Leidenszeit? Nils Strassburg als Elvis / Foto: NIco Deeg

Und er versucht, die Livekultur wieder anzukurbeln. Mitten im ersten Lockdown-Sommer stellt er in Leonberg das "Leonpalooza Festival" auf die Beine. Ein Open Air mit Abstand und Infektionsschutz, aber ohne Blech und Glasfaserkabeln zwischen Künstlern und Publikum. Und alle kommen sie: Comedians und Popgrößen, Glasperlenspiel und Dodokay, Jule Neigel, Lars Reichow, Mirja Boes. Im zweiten Jahr sind die Söhne Mannheims da, Leslie Clio, Ben Becker, Naturally 7. In diesem Juli gab sich sogar Bob Geldof die Ehre, neben Nena, Silly, Curtis Stigers und anderen.

 

Strassburg rackert. Um die Corona-Misere schneller zu überwinden, organisiert er ein Impfzentrum in Leonberg, ein Jahr lang, von März 2021 bis März 2022, in einem alten Postgebäude. Es reibt ihn auf. "Anfangs haben mir Leute Geld geboten, damit sie früher geimpft werden. Oder sie haben mich beschimpft, weil es nur Online-Termine gab. Da denkst du, du tust Gutes und kriegst nur auf die Fresse."

 

Als das Impfzentrum den Betrieb einstellt, hat Strassburg schon das nächste Projekt in Arbeit. Strassburg zieht für zwei Wochen eine Sammelstelle für Sachspenden an die Ukraine auf. "Das hat positive Energie gegeben!"

 

Zwischen all dem versucht Strassburg, Elvis wiederzubeleben. Endlich wieder direkt vor Fans spielen, auch wenn die vorerst Maske tragen. Finanziell jedoch ist es, "als ob man Geld verbrennt". Er plant eine Tournee, stellt einen Förderantrag für einen Corona-Fonds. Als nach Monaten die Absage kommt, ist die Tour längst angelaufen. Man habe bereits zu viele andere Künstler in der Region gefördert. Die Ersparnisse sind futsch.

 

Auch sonst ist es mühsam. Ein Veranstalter hat sich in die Rente verabschiedet, ein anderer den Job hingeschmissen. Die Plakatierer haben sich in Corona andere Jobs gesucht. Sein Trompeter gibt auf, kehrt in seinen ursprünglichen Beruf als Maschinenbauer zurück. Der Neue kommt aus München, das macht es komplizierter. "Es war, als würde man jedes Mal von null anfangen." Er zieht es durch, auch wenn Nerven und Finanzen leiden. Doch fühlt er sich ausgelaugt. Nicht auf der Bühne, das gebe ihm Energie. Aber sonst. Das ganze Ackern für die Kultur, während er sich von der Politik alleingelassen fühlte. "Da war viel Frust."

 

"Teile des Publikums haben sich regelrecht von der Kultur entwöhnt"

Und die Krise ist nicht vorbei. Große Teile des Publikums hätten sich regelrecht von der Kultur entwöhnt, stellt Strassburg fest. Im Vergleich zu Vor-Corona kämen allenfalls noch 30 bis 50 Prozent. "Die haben sich eingeigelt. Wir müssen Vertrauen aufbauen, die Leute langsam wieder zurückholen." Wohl erst 2025 werde man zu alten Zahlen kommen.

 

Als eine Art Selbsttherapie hat er in der Coronazeit ein Buch geschrieben: "Mein Leben als Elvis oder warum ich Angst vor falschen Koteletten habe", erschienen diesen August im Eigenverlag. Darin lässt er all das Kuriose Revue passieren, was ihm als Elvis-Darsteller passiert ist. Weibliche Fans, die ihn auf der Toilette bedrängen. Stalker im Garten. Angebote, nackt aufzutreten. "Man ist schon eine krasse Projektionsfläche", lacht er. Auf musikalischen Lesungen stellt er nun sein Buch vor, nur er und ein Gitarrist.

 

Schön auch, als im Frühjahr zum ersten Mal wieder Konzerte ohne Maske gefeiert werden dürfen. "Ich weiß noch, wie ich da ein Publikum vor allem mit reiferen Frauen vor mir hatte – und die sind sowas von abgegangen!"

 

Nun singt er also wieder im Naturtheater. Mit schmachtender Stimme, Seidenschals und Küsschen für die Fans. "Ich bin dreifach geimpft und hatte im März eine Infektion. Ich steck’ mich nicht mehr an."

 

Danach geht es nahtlos weiter. Im Oktober wird er vor einem Sinfonieorchester als Elvis performen. Ende des Jahres sind Elvis-Weihnachtsshows geplant. Im nächsten Jahr ist er als Darsteller für ein Elvis-Musical im Kammertheater Karlsruhe gebucht. Ebenfalls 2023 wird zehn Jahre The Roll Agents gefeiert. Elvis lebt weiter. (GEA)

KONZERTINFO                                                 

"The Elvis Xperience" mit Nils Strassburg und den Roll Agents ist am Donnerstag, 25. August, um 20 Uhr zu Gast im Naturtheater Reutlingen.




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