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20.08.2018 - Reutlinger General-Anzeiger

Naturtheater – Lacher am laufenden Band beim skurril-musikalischen Mitternachts-Special "Smart ohne Phone"


Ein Dorf verfällt dem Handy-Wahn

VON ARMIN KNAUER


Rätselhaft, wie die Naturtheaterleute es schaffen, neben dem normalen Spielbetrieb auch noch ein Mitternachts-Special zu stemmen. Offenbar ist der Spieltrieb der Wasenwald-Truppe nicht zu bremsen und braucht ein Ventil. Dabei mal fröhlich alle Regeln des guten Theatergeschmacks hinter sich zu lassen, gehört auch zum Konzept der von Sascha Diener angekurbelten Einrichtung.


Das Publikum goutiert die spätabendlichen Verrücktheiten, auch am Samstagabend war der Zuschauerraum voll. Die Nachfrage nach dem schwarzhumorigen Musicaltrash war so groß, dass zwei Aufführungen angesetzt wurden. Am nächsten Freitag ist also noch mal Gelegenheit, sich "Smart ohne Phone" anzuschauen.


Darauf musste man ja auch lange warten – im vergangenen Jahr kamen vereiterte Mandeln dazwischen. Nun aber konnte das Geschehen aus der Feder von Sascha Diener, Mara Jährig und Pascal Muckenfuß seinen Lauf nehmen, an dessen Idee auch noch Vasiliki Kobili und Manuela Hansow mitgebastelt haben.

Dorf in Aufruhr: Pascal Muckenfuß als Angie Mergl und weitere Darsteller im Mitternachs-Special

Dorf in Aufruhr: Pascal Muckenfuß als Angie Mergl und weitere Darsteller im Mitternachs-Special "Smart ohne Phone". FOTO: KNAUER

Im Jahr 2018 ist die ganze Welt digitalisiert. Die ganze? Nein, im Dorf Wodavon hat man von Handys nie gehört. Hier lebt man in harmonischem Offline-Kreislauf: Postfrau Letterle (Jenny Glaunsinger) lässt sich vom Arzt Dr. Koogel (Andreas Pedretti) Tabletten verschreiben, holt sie bei Apothekerin Frau Dogmories (Paul Rahn) und die trägt das Geld zu Frau Zaschdor (Kim Glaunsinger) zur Bank. Derweil erklärt Lehrer Babbl (Heinrich Hammann) den Kids die Blumen, dokumentiert Fotograf Futschi (Mara Jährig) das Dorfgeschehen, sorgt Trainerin Mrs. McFat (Sina Diener) für Fitness und Ehepaar Motrolla (Manuela Hansow und Ruben Dietze) im Schlafzimmer für Nachwuchs. Über allem thront "Bürgertranslerin" Angie Mergl (Pascal Muckenfuß), für die das Internet "Neuseeland" ist.

 

Da taucht der blond perückte Donald Dump (Ingo Raiser) mit seinen debilen Helfern Dick und Doof (Ingo Deufel und Felix Dreher) auf. Sein Plan: die Bürgertranslerwahl gewinnen, indem er alle Bewohner handysüchtig macht. Kaum sind die Geräte im Umlauf, werden dank Apps Arzt, Apothekerin, Bank, Post, Fotograf, Lehrer, Trainerin und Putzfrau überflüssig. Frau Motrolla sucht ihren Sexualpartner lieber bei Tinder als zu Hause. Nur eine ist immun gegen den Handywahn: Tochter Motrolla (Vasiliki Kobili), die alle mit einem Äffchen verwechseln.

 

Schrill-bunte Schlager-Revue

Das Geschehen entrollt sich in der Regie Sascha Dieners als schrill-bunte Schlagerrevue, stilecht moderiert von Carina Armbruster als "Silvie Schweiß" mit sexy Glitzerfummel und herrlich holländischem Akzent. Ihre unverfrorene Sylvie-Meis-Parodie gehört zu den Knallern des Abends. Auch sonst sieht man tolle Parodien, von Muckenfuß’ "Angie" bis hin zu Raisers Trump-Karikatur. 

 

Ansonsten weicht das Stück keinem Kalauer aus, schickt mit Herrn Saitenbacher (Tilmann Scheck) einen Running Gag samt Afroperücke durchs Geschehen und stürzt sich auf jede Gelegenheit zu fetzigen Sing- und Tanznummern. "Ein bisschen Spaß muss sein", röhrt Ingo Raiser als Donald Dump. Putzfrau Alexandra (Susanne Hammann), die sich als digitale Helferin selbst neu erfindet, schmettert LED-blinkend mit den Toten Hosen "Hey, jetzt kommt Alexa". Ruben Dietze stellt als Herr Motrolla nach dem Tinder-bedingten Abgang seiner Frau mit den Fanta 4 rappend fest: "Ich bin offline allein!" Während diese und Herr Zamzung (Sascha Diener) als ihr digital erwählter Favorit mit Andrea Berg ihr Glück besingen.

 

Allesamt schmettern sie ihre Ohrwürmer mit enormer Hingabe und werfen sich mit ansteckender Lust in die Tänze, die ihnen Carmen Lamparter sehr schwungvoll choreografiert hat. Ein toller Spaß, der über fast zwei Stunden hinweg das Tempo hochhält.

 

Dass das begeistert applaudierende Publikum am Ende auch noch eine ernste Moral mit auf den Weg bekommt, verblüfft etwas. Die Botschaft, man hätte sie auch so verstanden. (GEA)




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