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25.06.2012 - Reutlinger Nachrichten

Das Naturtheater Reutlingen (NTR) bittet zum Aderlass: „Dracula“-Premiere im Wasenwald


Herzblut schon vor dem ersten Biss

Knoblauch, Kreuz und Kuscheldecke: In dieser Saison sind es die wichtigsten Accessoires fürs Naturtheater. Nach der gelungenen Premiere wird „Dracula“ noch bis 25. August sein Unwesen imWasenwald treiben.


LARA DIEL


Transsilvanien/Reutlingen.Da thront sie nun, die Burg des Grauens – mitten im Wasenwald, als hätte sie nie woanders gestanden. Der junge Assessor JonathanHarker (überzeugend in seiner zunehmenden Verzweiflung: Irfan Kars), eines lukrativen Immobilien-Geschäfts wegen angereist, wundert sich noch arglos über das Nichtvorhandensein eines Spiegels im Gemäuer und über seinen Gastgeber, der seltsame Dinge sagt („in meinen Adern fließt das Blut verschiedenster edler Rassen – und mit jedem Tropfen wird man ein bisschen weiser“), und der obendrein ausschließlich in den Nachtstunden für Verhandlungen zur Verfügung steht. Doch da hat das Premierenpublikum schon längst die vierte oder fünfte Gänsehaut hinter sich.


Und das liegt ausnahmsweise mal nicht am schattigen Wasenwald: Denn was den Gruselfaktor der Inszenierung angeht, haben sich die rund 100 Naturtheater-Aktiven unter der Leitung der Regisseurin Susanne Heydenreich glatt selbst übertroffen.


Das fängt mit Bühnenbild, Beleuchtung und Technik an: Wölfe heulen,  Nebel wallen, Bäume erglühen in bedrohlichem Rot, giftiges Grün sorgt für wohligen Grusel. Kreuze, Knoblauch, Särge runden das adrenalinschwangere Ambiente ab. Schon vor dem ersten Biss ist buchstäblich viel Herzblut geflossen.


Letztlich sind es vor allem aber die Darsteller, die dem eher sperrigen, aus Telegrammen und Briefen komponierten Roman des vor exakt 100 Jahren verblichenen Schriftstellers Bram Stoker ganz neues Leben einhauchen.


In der Titelrolle brilliert Holger Schlosser: Wandelte er eben noch als wunderlicher ältlicher Herr mit osteuropäischem Akzent und ungepflegter
grauer Wallemähne durch sein transsilvanisches Anwesen und leckte sich lüstern die Lippen angesichts des Blutes, das Jonathans verunglückte Rasur sprudeln ließ, gleitet er im nächsten Moment gewandt und weltmännisch im glitzernden Gehrock übers glatte Parkett des Londoner Adels. Genau da will er hin, denn dort ist Minna Murray (zum Verlieben: Carolin Olbricht), und seit er das Bild der Verlobten seines Gasts Jonathan Harkers gesehen hat, ist sie das Objekt seiner Begierde.


Jonathan hat er unter einem fadenscheinigen Vorwand in seinem Schloss festgesetzt, nun hat er in London freie Bahn. Dort hat man das Unheil schon herannahen sehen: Da ist Renfield (herrlich verrückt: Denis Blank), Harkers Kollege, der seit seiner eigenen Dienstreise zu Dracula im – raffiniert in der Mitte der Bühne platzierten – Irrenhaus weilt, die Ankunft des Herrschers verkündet und nebenbei allerlei Kleingetier verspeist. Da ist das Schiff mit der rätselhaften Fracht an Bord. Da sind mysteriöse Todesfälle. Dass all das mit dem charmanten Grafen zu tun hat, der mit Geld und Juwelen um sich wirft, will die High Society zunächst nicht wahr haben – im Gegenteil: Martha Westenra (umwerfend als arrogante Society-Lady: Stadträtin Silke Bayer) will Mina davon überzeugen, dem Grafen Dracula gegenüber dem saumseligen Jonathan den Vorzug zu geben.


Erst als Marthas Tochter und Minas beste Freundin Lucy (überzeugt als unbekümmerte reiche Tochter und als laszive Vampirin: Julia Coolens) – nach einer unheimlich-erotischen Begegnung mit dem Grafen – recht blutleer daher kommt und trotz Wagenladungen voller Knoblauch und der Hilfe des eiligst herbeigerufenen Wissenschaftlers Dr. Van Helsing  verstirbt (souverän: Sascha Diener), wendet sich das Blatt. Noch ehe Mina so richtig dazu kommt, dem Charmeur vollends zu verfallen, muss er auch schon die Flucht ergreifen. Das große Finale gerät dann zum turbulenten Schlusspunkt einer rundum abwechslungsreichen,
sehenswerten Inszenierung.




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