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»Baustelle Leben«: Denkanstöße zum Thema Alkohol und Jugend haben die Nachwuchsschauspieler des Naturtheaters in Szene gesetzt - ein Beitrag zur Diskussion, angeregt und geleitet vom Reutlinger Jugendgemeinderat / Foto: CBS

»Baustelle Leben«: Denkanstöße zum Thema Alkohol und Jugend haben die Nachwuchsschauspieler des Naturtheaters in Szene gesetzt - ein Beitrag zur Diskussion, angeregt und geleitet vom Reutlinger Jugendgemeinderat / Foto: CBS

Alkohol und Jugend - Podiumsdiskussion und Theaterstück spüren der Abhängigkeit junger Menschen nach

 

"Das hat mir Angst gemacht"

Von Christoph B. Ströhle

 

"Wenn Alkohol heute erfunden würde, wäre er keine legale Droge." Mit dieser Behauptung erntete Markus Lorenz von der Polizeidirektion zustimmendes Kopfnicken: Der Reutlinger Jugendgemeinderat hatte zur Diskussionsrunde zum Thema "Wie gehen Jugendliche mit Alkohol um?" eingeladen, rund vierzig überwiegend junge Besucher zeigten Interesse.

 

Tags zuvor hatte das Naturtheater mit dem Stück "Baustelle Leben" Premiere gefeiert. Auch darin geht es um Jugendliche, die zur Flasche greifen.

 

Eine Clique will sich einen schönen Abend machen, feiert - und trinkt. Doch wissen nicht alle, wann sie genug haben, und so kommt es zu peinlichen Szenen und drastischen Abstürzen. Realistische Szenen wechseln mit Traumsequenzen ab. Gruppendruck und Selbstinszenierung, die Lust am Ausprobieren und Kontrollverlust, um Probleme zu vergessen, sind eindrucksvoll in Szene gesetzt. "Ein heftiges Thema, klasse umgesetzt", lobte NTR-Vorsitzender Rainer Kurze die Uraufführung in der "Zelle".

 

Reif für ein Festival

 

Der Theaterverein hatte der Jugendgruppe und ihrer Leiterin Silke Bayer freie Hand gelassen. Nach "eher braven Stücken" in der Vergangenheit (wie Märchen oder Weihnachtsgeschichten) habe sich der Nachwuchs damit von einer gänzlich anderen Seite gezeigt, meinte Kurze. "Das Stück wäre auch was für ein Theaterfestival."

 

"Das Stück, das wir eigentlich vorhatten, ließ sich nicht besetzen, weil alle im Schulstress waren", erklärte Silke Bayer. Also hätten sich die elf Darsteller an etwas Eigenes gewagt. Das Thema erschien allen wichtig, ebenso der sozialkritische, aber nicht belehrende Ansatz. "Jeder hat drei Wochen lang sich selbst und sein Umfeld beobachtet, danach haben wir erste Szenen animprovisiert." Am Ende des kreativen Prozesses stand ein Textbuch, von Bayer verfasst und mit den Jugendlichen umgesetzt.

 

Dabei bewahrheitete sich, was Leon Maier bei der vorangegangenen Podiumsdiskussion (moderiert von den Jugendgemeinderäten Nathan Hornstein und Paul Poletajew) als Behauptung in den Raum gestellt hatte: dass Party in den allermeisten Fällen auch den Konsum von Alkohol bedeute. "Er lockert die Stimmung und enthemmt", so der 18-jährige Schüler. Dass er von betrunkenen Jugendlichen auf der Straße schon einmal angegriffen wurde, "das hat mir Angst gemacht". Auch gehe er selbst, seit er den Führerschein habe, verantwortlicher mit dem Rauschmittel um.

 

Der Reutlinger Gastwirt Wolfgang Kohla ("Kaiserhalle") und Markus Lorenz von der Präventionsabteilung der Reutlinger Polizei waren sich in der Einschätzung rasch einig, dass mit dem Aufkommen der Alkopops - Süßgetränke, die mit Spirituosen wie Wodka oder Whisky gemischt sind - vor etwa sieben Jahren ein Damm gebrochen sei. Saufen sei damit zum Event geworden, Abstürze und die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen hätten seither zugenommen.

 

Sozialarbeiterin Verena Sulfrian von der Reutlinger Drogenberatung kennt diese Kehrseiten des Alkoholkonsums. Immer häufiger besucht sie Zwölf- bis 18-Jährige, die wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, und das zum Teil mehr als einmal. "Das habe ich in früheren Jahren so nicht erlebt." Mit dem bundesweiten Suchtpräventionsprojekt "HaLT" (Hart am Limit) bemüht sie sich gegenzusteuern. So berät sie Kinder und Jugendliche nicht zuletzt dahingehend, Risiken besser einzuschätzen und aufeinander aufzupassen.

 

Schockerlebnisse, wenn etwa einer im Krankenhaus landet oder auf andere losgeht, würden durchaus von den Jugendlichen reflektiert, gab Barbara Stauber zu bedenken, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Tübingen. Nicht sich ins Koma zu saufen sei das Ziel, sondern einen guten Abend zu haben, sich an der Grenze, vielleicht in einer anderen Rolle zu erleben, zitierte sie die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, an dem sie mitgearbeitet hat. Risikokompetenz entstehe durch Ausprobieren, auch wenn diese Form der Freizeitgestaltung "hoch riskant" sei, "wie vieles, was Jugendliche tun".

 

Spiegel der Gesellschaft

Letztlich gelte, so Stauber: "Wir sind eine Alkoholgesellschaft. Was wir bei Jugendlichen beobachten, ist nichts anderes als der Spiegel dieser Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen." Prävention müsse entsprechend in allen Lebensbereichen ansetzen. Jugendschutzkontrollen seien zwar wichtig, meinte Markus Lorenz, reichten aber nicht aus. "Unsere Gesellschaft hat verlernt, Grenzen aufzuzeigen", kritisierte er. Eltern müssten in dieser Hinsicht wieder mehr Verantwortung übernehmen.




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